Werther, der Werwolf - Roman
üblenAusdünstungen der Matronen mir unerträglich werden! Gerade wollt ich noch etwas sagen, da fühl ich Zähne wie die einesTigers im Mund, vermag nicht mehr gesittet zu sprechen, knurre stattdessen, krächze, stöhne und kann mich mit letzter Mühe daran hindern, loszuheulen. Bevor meine Kleider – siehst Du’s vor Dir, Bruder? – von mir abfallen, ich nicht auf zwei Beinen mehr stehn kann und auf alle viere niedergezwungen werde, verlaß ich humpelnd, hüpfend den Saal, strauchle auf spiegelndem Marmor, stürze wie einer, der nicht gewohnt ist, in Schuhen zu laufen, und klammre mich, um hinauszugelangen, an den Bordüren derWandvertäfelung fest. Erblicke meine Krallen, dieWolfsklauen, höre tierischesAtmen, und als ich mich umblicke, ob der Fürst etwa das entlarvende Spiel mitangesehen, geht ein Schreckenslaut rings durch die Menge. Sie haben mich angestarrt,Wilhelm! mit offenen Mündern begaffen sie den sichVerwandelnden. Da und dort sinken Frauenzimmer zu Boden, hier entgleitet einem Kavalier dasWeinglas, dort will einer sich setzen und verfehlt den Stuhl. Und alles das geschieht, weil ein beliebiges Dämchen der Einzigen ähnelt, weil Lotte mich selbst in der Fremde einholt und mein anderes Ich unweigerlich hervorlockt, das ohne sie niederzuhalten wäre, mit ihr jedoch derWildheit ihren Lauf läßt.
MeinTrachten und Sehnen, fortzukommen von Lotte und die Frist bis zumAblauf der drei Monde als gebührliche Existenz zuzubringen, scheitert und ist zernichtet, das danke ich dem Gänslein von Q. Ich habe meine Entlassung vom Hofe verlangt und erhalten, jetzt komme ich also zurück aus der weitenWelt – o, mein Freund, mit wieviel fehlgeschlagenen Hoffnungen, wieviel zerstörten Planen!Was wird nun alles getratscht, vermutet, gerätselt werden, wie freuen sich jene, die mir seit meinerAnkunft vorwerfen, eine Geringschätzung anderer strahle von mir aus, die durch dasVerhängnis letztenAbends gebührende Strafe erfahren hätte.
Ich bin zerstört, bin wütend und wollte wahrhaftig, daß einer sich unterstünde, mir vorzuwerfen:Werther, er ist gestern ein wahrer Hundsfott gewesen! daß ich ihm den Degen durch den Leib stoßen könnte. Besser noch, meineWolfshauer sollten ihm das Untergebiß ausreißen, klaffendeWunde schaffen, daß er, des Mundes beraubt, nie wieder einWort sprechen möchte. In bin in nämlicher Nacht in der Erscheinung desWolfes durch die Gassen gehetzt, Blut, mein Gedanke, Blut, mein Durst, um dem gedrängten Herzen Luft zu machen.
Man erzählt von einer edlen Pferdeart, die, wenn sie erhitzt und aufgejagt ist, sich selbst aus Instinkt eineAder aufbeißt, um sich zumAtem zu helfen. So tat ich,Wilhelm, da in mir nochWillenskraft und Beherrschung ist, das Blut anderer zu schonen. Mit dem Maule ritzte ich eineAder mir und soff mein eigenes Blut. Daheim, in meiner Stube tat ich’s, Nero war Zeuge. O könnt ich mir mit solchemAderlaß doch die ewige Freiheit des Grabes schaffen!
Am 22. Juni.
Was mir der Minister schreibt, der Fürst, selbst der Erbprinz! Man hat mir denAbschied ungern gegeben, schätzt mich vor Ort, gleichwohl ist es geschehen und meinAbgang unaufschiebbar. Der Erbprinz hat mir fünfundzwanzig Dukaten geschickt, mit einemWorte, das mich gerührt hat; also brauche ich von Dir das Geld nicht, um das ich schrieb.
Heute gehe ich von hier ab, und weil mein Geburtsort nur sechs Meilen vomWeg liegt, will ich den auch wiedersehen, mich der alten, glücklichenTage als Menschenkind erinnern, da ich von einerVerwandlung wie der meinigen selbst im schaurigstenTraume keineVorstellung hatte. Nun ist es bald so weit,Wilhelm, ich spüre, der Mond füllt sich zum dritten Mal, und was dahinter liegt, ist düsterer als das Grab.
Am 23. Juni.
Ja wohl! Ich bin einWandrer nur, einWaller auf der Erde! Seid ihr denn mehr?
Zu eben demTor geh ich hinein, aus dem meine Mutter mit mir, dem Bübchen, hinausfuhr, als sie nach demTod meinesVaters den lieben, traulichen Ort verließ, um sich in ihre unsägliche Stadt einzusperren.Wunderlich oft geht mir meinVater auf dieserWallfahrt nach meiner Heimat, der ich mich mit allerAndacht eines Pilgrims unterziehe, durch den Sinn. Er war ein redlicher Mann, meiner Mutter zugetan, doch etwasWildes muß auch in ihm gewohnt haben, das sich in mir fortpflanzen mag. Sie erzählten in derVerwandtschaft von Raufhändeln meinesVaters, und einVorfall kommt mir zu Sinn, daß er, weil er seineWut weder an Muttern noch an mir Kleinem abarbeiten wollte, den
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