Werther, der Werwolf - Roman
eingeschläfert zu werden, unter Qualen widersteh ich ihm, endlich ruht dasAmulett nahe dem Herzen.
Wie ein Sturm sich manchmal von einer Sekunde zur nächsten legt, ohne daß wir erklären möchten, wer dem Gebraus Einhalt gebietet, hört dasWühlen und Umwälzen auf, sanft wird mir’s zumute, erleichtert streck ich mich aus und bleibe eineWeile so liegen.
Daß ich fortan unbeschadet zu Lotte eilen kann, fällt mir ein; ich bin geschützt, gefeit vor mir selbst und meinen Begierden. Ist das nicht schöner,Wilhelm, als in ihrer Nähe immer unter der Pein meinerWünsche zu leiden?
Leichten Sinns kleide ich mich an, habe meinen blauen einfachen Frack, in dem ich zum ersten Mal mit ihr tanzte, abgetan und mir einen neuen machen lassen, Kragen undAufschlag wie den vorigen, und auch wieder so gelbeWeste und Beinkleider dazu. So angetan reite ich zum Jagdhaus, unterwegs pocht dasAmulett mit jedem Sprung des Rößleins an meine Brust, als wollte es sagen: Du tust gut daran, mich zu tragen.
Ich will es glauben, Bester, gesittet steige ich ab, lasse dem Stallmeister meinen Braunen, setze die Füße artig auf geharktem Kies zu ihrerTür hin.Als Lottchen mir öffnet, beuge ich in vollendeter Höflichkeit den Rücken, ergreife ihre Hand und hauche einen Kuß darauf, ohne Bedeutung und Schwere dareinzulegen.Wir plaudern Dinge vomTage, ich erkunde mich nach demVerlobten. Er sei noch in Geschäften unterwegs, obwohl dringende Fragen der Hochzeit zu besprechen wären. Er überließe, so Lotte, alles weitgehend ihr, was ihr schmeichle, sie manchmal aber auch seufzen lasse. Der Haushalt, die Geschwister, der kränkelndeVater, nun noch die Heiratsumständlichkeiten – es werde ihr wahrlich zu viel. Ich biete Hilfe an, was sie ablehnt, doch meinenVorschlag, ein Stündchen durch den sommerlichenWald zu streifen, nimmt sie gern an.
Früher wäre mir ein Waldspaziergang mit ihr als Geschenk des Himmels erschienen, jeden Schritt neben der Angebeteten hätte ich heilig empfunden. Nun nimmt sie einfach ihr Halstuch, läßt den Kapotthut bei der Hitze hängen, und nebeneinander ziehen wir hinaus. Wir durchwandern den Buchenwald, wegen der anhaltenden Wärme sind viele Blätter gelb, schließlich erreichen wir den kühleren Tann. Hier hängt ein Geruch von erwärmtem Reisig, Charlotte schnuppert.
– Das ist der Sommer, sagt sie, an diesem Geruch erkenn ich ihn am besten. Ohne Umstand nimmt sie meine Hand. –Wie schön,Werther, so mit Ihnen zu gehen. Ich wollte,Albert hätte mehr Zeit für dies stilleVergnügen.
– Er ist eben ein Knecht seines Erfolgs, antworte ich ohne Häme.
– Manchmal wünscht ich, er könnte sein wie Sie, lieberWerther. Sie nehmen jedenTag, wie er sich bietet, verbiegen, strecken oder stauchen ihn nicht, Sie ergeben sich ganz in die Natur.
Solche Einsicht von ihr zu erfahren! herrlicher noch, sie lieber Werther sagen zu hören. Es ging mir durch Mark und Bein, ich drückte die kleine Hand, lasse sie dann aber los.
Wir kommen tief in den Wald hinter P. hinein; mit eins schleicht sich ein neuer, ungekannter Geruch in meinen Sinn. Ich heb den Kopf, krause die Nase und wittre, wie ich’s bei Nero manchmal gesehen. Ich täusche mich nicht, dort nähert sich was, das diesen Wäldern gewöhnlich nicht innewohnt. Wir sind auf einem Eselssteig, der uns in die Klamm hineingeführt. In der Tiefe rauscht der Bach, rechts steigt die Felswand, an der Tannenwurzeln sich festkrallen.
–Was kommt Ihnen bei, was verziehen Sie so ungewohnt Ihr Gesicht? fragt meineWeggefährtin.
– Still. Ich fasse ihrenArm, wende mich in die Richtung, nun hebt auch Lottchen den Kopf. Doch ist dasWasserrauschen zu laut, als daß man anderes hörte.
– Dort! schreit sie, drängt sich an mich und zeigt zu der Enge, die wir soeben durchschritten.
Auf allen vieren kommt ein Bär heran, dessen Größe mir unglaubhaft erscheint.Wurden Bären in diesen Bergen nicht zuletzt vor langer Zeit gesehen? Sie sollen sich in die unwegsamen Gebirge um H. zurückgezogen haben, und nie hörte ich den alten Förster sagen, er hätte in seinenTagen einen Bären erlegt.
–Was tun wir? haucht Lotte. Laufen wir?
–Würden ihn damit nur zu gleichem Lauf anstacheln, geb ich zurück. Ich sehe die ungangbaren Felsen empor. – Zu überhängend, zu feucht der Stein, rede ich mir denVersuch aus, uns auf eine Klippe in der Höhe zu retten.
– InsWasser? Sie zeigt auf die Flut.
Ich erwäge es; da ist der Bär schon so nah heran, daß er uns wittert. Er
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