Werther, der Werwolf - Roman
Felswand, diese gleichsam alsWiderstand nutzend, und weiter zum Bären hin. Ich erwische ihn an der Gurgel, er sucht mich abzustreifen, eisern schließ ich die Klammer meiner Zähne um seinen Kehlkopf, höre es knacken, schmecke Bärenblut auf meiner Zunge und beiß fester zu, so ausdauernd, bis der Bär unter mir wankt, röchelt, bis ihn dieVerwundung der Kräfte beraubt, er gegen den Felsen sinkt und endlich vornüber. Rechtzeitig laß ich ihn los, sonst hätte der Bär mich begraben, springe zu Boden, sehe ihn neben mir aufprallen – wie da die Erde zittert,Wilhelm! Er zuckt, rührt sich noch, ich bin über seinem Genick und vollende mit einem einzigen Biß dasWaidwerk. Ich habe den Großen besiegt, der Bär ist tot.
Ist zu ermessen, was Lotte fühlen muß, als sie, Schritt vor Schritt setzend, auf die grause Szene zukommt? Ich habe ihr Leben gerettet, doch um welchen Preis? Nun weiß sie, daß der junge Mann, den sie Monate in ihrem Hause geduldet, eine gefährliche Bestie ist, stark genug, einen Bären zu töten. Niemals kann es zwischen uns wieder so sein, wie es vor Minuten gewesen. Ich bin nichtWerther, bin ein anderer, vor dem sie, wenn sie erst wieder bei Sinnen, sich abgrundtief fürchten, ekeln muß. Die Sache wollte es,Wilhelm, da ist kein Zweifel, ich habe das Leben der Einzigen gerettet, um die mein Herz schlägt, ich würde es hundertmal wieder tun. Doch das Blutfest ist vorbei, dieWirklichkeit des Sommertages umfängt uns, keuchend kauere ich über dem Bären, Lotte erreicht mich, beugt sich zu mir.
– Seit wann, sag mir,Werther, erfuhrst du dies Schicksal?
Antworten will ich, knurre, fletsche nur, bin noch nicht, kann noch nicht Mensch sein. Mit einem Hundstier soll die Geliebte nicht sprechen, soll aus meinem Mund erfahren, was wahr ist. Ich geb mir unendliche Mühe – und wirklich,Worte formen sich, undeutlich, da meinWolfsmaul nicht zum Reden gemacht ist, aber ich vermag auszusprechen, was der Mensch denkt; dasTier spricht!
– Kurz vor demAbend war’s, als wir uns zum ersten Mal sahen. Da hat der Dämon Besitz von mir ergriffen, seit dannen werde ich zu dem, was Ihr vor Euch seht.
– O guterWerther, spricht das liebe Kind und bricht inTränen aus.Weißt du noch, unsere erste Kutschfahrt, das erste Gespräch?
– Müßt Ihr mich erinnern? Ich trau mich ihr das ersehnte Du noch nicht zu sagen.
– Sprach ich da nicht von Geschöpfen, die zwischen der hiesigen und einer nächstenWelt gefangen sind? Sagte ich nicht, daß es Kreaturen gibt, die außerhalb unseres engenVerständnisses ein Dasein führen, sagte es zu dir, der du selbst so einWesen!Werther,Werther! wie wird mir, wie dank ich dir, daß du dich mir offenbarst, zugleich, daß du mein Leben gerettet! O es istWahnsinn,Wonne, Sturz und hochfliegenderTraum in einem!
Damit,Wilhelm! sinkt sie zu mir herab, umfaßt meinen pelzigen Leib und drückt den allerherrlichsten Kuß auf die Schnauze des allererstauntesten Hundes. Mein Mädchen küßt mich, Freund, da ich nicht der bin, der ich sein wollte, sondern der, den ich vor allerWelt zu verbergen suche! Sie herzt und drückt mich und preßt ihren Leib gegen mich. –Werther! seufzt sie ein ums andere Mal und läßt nicht ab, bis ich den seligen Kuß erwidere, meineTatzen um sie lege, bis sich mein Hundeleib aufbäumend über sie wirft.Wir liegen weich, unter uns der Bärenkörper, der unser Lager, unser Liebesbett wird. So erfahr ich das Glück,Wilhelm, das nimmermehr das meine werden sollte, nicht auf feinen Kissen und unter damastenen Laken, erfahr es im Blutgesudel auf demWaldboden, hingeräkelt auf einem Bärenfell, das noch nicht abgehäutet.
Später, es dunkelt schon, kommen wir auf, sehen uns an, Blut allüber uns, lächeln still, sagen nichts, was dasWunder zerstören möchte. Ich habe mich, in menschliche Liebe ergossen, zum Menschen zurückgewandelt – noch kann ich’s ja, noch ist derVollmond nicht über derWelt. Gesittet kleidet ein jeder sich an, da steh ich im blauen Frack, sie im hellen Sommergewand, wir nehmen uns an der Hand und gehen, den Sommerwald,Wald der Liebe, aneinandergeschmiegt, zu verlassen.
Desselben Abends.
Ach, der Freude! o des Glücks! Nie hätte ich gehofft,Wilhelm, Dich, der Du all meinWehklagen ertragen mußtest, auch des Jubels teilhaftig werden zu lassen.
Doch was ist das? Für unser Elend finden wir tausendWorte, Farben, Nuancen, füllen Seiten, Bände mit Schilderungen bedrückender Gefühle: für das Glück jedoch haben wir nur
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