Werther, der Werwolf - Roman
löse den Bann, der mich zu etwas macht, das dein göttlicher Plan nicht einschließt, halb Mensch, halbTier –Vater, erlöse mich!
Lautlos bleibt es im Haus, lautlos ist die ganzeWelt. Zweifelnd, ob mein Ruf gehört wurde, sinke ich auf die Bettstatt und ergebe mich elenden Gedanken.
Mein Führer – das habe ich zu berichten vergessen, der gute Nero, ist seit dem Zeitpunkt, an dem alles sich in Glückseligkeit gewandelt, unauffindbar. Heimkehrend finde ich die Stube leer, auch amWaldrand entdeck ich ihn nicht, rufe, warte, daß er von selbst sich zeigt – vergebens. Soll ich’s als Zeichen nehmen, daß nicht nur der Hund, auch der Dämon sich verflüchtiget hat? Ich will es,Wilhelm! will von dem guten HundAbschied nehmen, wenn nur damit auch der Spuk verfliegt!
Am 8. Juli.
Von Lotten hab ich keinWort gehört, denke mir nichts dabei, es ist verständlich: sie hat schwereAussprache zu bestehen, muß demVater,Albert die Stirn bieten, muß alles, was als selbstverständlich angenommen, jetzo umkrempeln.Wieso kommt sie nicht um Beistand zu mir? Bin ich der nicht, der alleVeränderung ausgelöst, muß ich nicht Rede undAntwort stehen, dem gewesenenVerlobten, dem Brautvater, allen hier? Lottens Schweigen macht mir dieTage schwer, Freund, hundertmal will ich hinüberfliegen, mich zu erkundigen, wie die Sache steht, was ich tun soll, zu ihrem guten Ende beizutragen. Ich bezwinge mich. Geduld erkenn ich als schönsteTugend von einem, der denWolf in sich bezwingen und beweisen will, daß er in die menschliche Gemeinschaft zurückgekehrt. – –
Ich ertrug’s nicht, mußte hin,Wilhelm, zu ihrem Haus! Zweimal vierundzwanzig Stunden sind fast verstrichen – mir schienen’s vierundzwanzig Jahre!Wissen mußte ich, was vorgeht.
Es istAbend, ich finde die Fenster erleuchtet, vor dem Haus stehtAlberts Kutsche, der Bräutigam ist zurückgekehrt. In welcherVerfassung ist er, sind sie alle im Jagdhaus? Soll ich eintreten, unbedarft tun und warten, wie man mir begegnet? Soll ich Lotten in derAbgeschiedenheit ein Zeichen machen, ihr bedeuten, daß ich im Dickicht ihrer Befehle harre? Ich laufe hin, kehre um, verschanze mich im Buchenhain, laufe heimlich an das Haus heran – Freund! ich betrage mich wie ein Hund, der dieWurst gestohlen hat und nicht wagt, seinem Herrn zu begegnen. Nimmermehr! Stellen will ich mich und mannhaft nehmen, was auch kommt.
Der Herausgeber an den Leser.
Wie sehr wünschten wir, daß von den merkwürdigen spätenTagen unseres Freundes so viele eigenhändige Zeugnisse übriggeblieben wären, daß wir nicht nötig hätten, die Folge seiner hinterlassenen Briefe durch Erzählung zu unterbrechen.
Wir haben uns angelegen sein lassen, genaue Nachricht aus dem Mund derer zu sammeln, die von den Begebnissen wohl unterrichtet waren. Es kommen alle Schilderungen bis auf wenige Kleinigkeiten miteinander überein.Was bleibt uns übrig, als Erfahrenes gewissenhaft zu notieren und das kleinste aufgefundne Blättchen nicht geringzuachten, zumal es schwer ist, die wahrenTriebfedern von Handlungen zu entdecken, wenn sie unter Menschen vorgehen, die nicht gemeinerArt sind.
Fräulein Charlotte hatte die letzten Nächte nicht geschlafen.Was sie befürchtet, drängte, an die Oberfläche gelangt, zu einer Entscheidung in einem Umfang, den sie kaum voraussehen konnte. Ihr sonst so rein und leicht fließendes Blut war in einer fieberhaften Empörung, tausenderlei Empfindungen zerrütteten das schöne Herz.War es das Feuer vonWerthers Umarmung, das sie im Busen fühlte? Sie wußte, daß dem nicht so war, hatte sie doch nicht den jungen Mann von Stand undAdel umarmt, den Gebildeten mit den angegriffenen Nerven, sondern – man ist geneigt zu sagen: im Gegenteil – den Urwüchsigen,Wilden, den tierhaft Brachialen. Zwar hatte Charlotte einen solchen inWerthern vermutet; viele Merkmale waren ihr aufgefallen, die sie zu einem Charakterbild des Ungewöhnlichen zusammenfaßte, doch keinesfalls hatte das Fräulein geahnt, wie tief derAbgrund war, aus demWerthers Seele sich formte, seinWesen sich speiste.
War es Unwille überWerthersVerschlagenheit, ihr sein wahres Selbst so lange verborgen zu halten, was Charlotte dieAusgeglichenheit raubte, war es Unmut überWerthersVerwegenheit, sich ihr in so erschreckenderVerwandlung zu offenbaren und in seinerTierhaftigkeit dasAnimalische auch in Charlotten zu wecken?
Denn es ist etwas anderes, in Büchern und Geschichten von Kreaturen zu lesen, deren Seelenverformung nicht zum
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