Werther, der Werwolf - Roman
möchte – das soll sie, darf sie nicht!
Also nehme ich meinenAbschied anders als vorgehabt: nicht der Überbringer bitterer, zugleich erhellender Nachricht fürAlbert bin ich gewesen, nicht derjenige, der Lotte als Braut freit und bald heimgeführt hätte – als Gefoppter stammele ich meine Gutnachtworte, taumle über die Schwelle, ins Freie, Unendliche, in den unfaßbaren Schmerz.
Am 10. Juli.
Früh hab ich einen Brief geschrieben,Wilhelm, versiegelt und auf den Schreibtisch gelegt, ihn später selbst zu Lottens Haus zu tragen. Nun hab ich das Siegel erbrochen und lege Dir die Blätter bei.
Freund! ich danke Deiner Liebe, daß Du mir so treulich geantwortet: Ja, Du hast recht, besser wäre es, ich zöge mich ganz zurück, bevor dieVerwandlung von Blut und Geist, Körper und Seele sich zum letzten Mal vollzieht – nicht vor allerAugen! Gut gesprochen! Dem Mond fehlt nur nochWeniges zurVollendung, grauenhafteWünsche stellen sich ein, ich will töten! Nicht wie einWildtier, das Leben zerstört, um selbst zu leben, ich will den töten, der zwischen mir und Lotte steht, der ihr Mann sein soll. Mann! Höre mich grausig lachen: damit würde es für dieWelt ja Sünde bedeuten, daß ich Lotte liebe, daß ich sie aus seinenArmen in die meinigen reißen möchte. Sünde sei es, ich habe sie in ihrer ganzen Himmelswonne geschmeckt, habe Lebensgier und Liebeskraft aus ihr in mein Herz gesaugt! Seit diesemAugenblick ist sie mein, Lotte mein! darum mußAlbert sterben, von meiner Hand!
Wilhelm! die Feder zittert, die das schreibt. Ich kann es nicht zügeln, mag’s nicht zähmen, und wenn ich nicht unverzüglich forteile, werde ich es tun. Ich! der friedlichste Bewohner der Natur, der stets abgeschieden leben, innig genießen und in stiller Ruhe sterben will, fühl mich bereit zum Äußersten, derTodsünde, die vor allen steht,Wilhelm: Mord!
Ich muß, muß fort! Es ist mir drum lieb, daß Du kommen willst, mich abzuholen; erwarte noch einen Brief von mir mit allemWeiteren. Und lies, ich bitte Dich, die Zeilen derVerstörung, Entblößung, die ich Lotten anvertrauen wollte, und es doch nicht tat – hernach vernichte sie!
Es ist beschlossen, Lotte, ich will sterben, das schreibe ich ohne dramatische Überspannung, gelassen, am Morgen desTages, an dem ich Dich zum letzten Mal sehen werde.Wenn Du dies liest, meine Beste, deckt das kühle Grab die erstarrten Reste des Unglücklichen, desVerdammten, der für die letztenAugenblicke keine größere Süßigkeit weiß, als sich an Dich zu wenden. Ich habe eine schreckliche Nacht gehabt, und ach! auch eine wohltätige Nacht. Sie hat meinen Entschluß befestigt und bestimmt: ich will sterben!Als ich mich gestern von Dir riß, in der fürchterlichsten Empörung meiner Sinne, als sich alles, das nach meinem Herzen drängt und mein hoffnungsloses, freudeloses Dasein neben Dir in gräßlicher Kälte mich anpackt, erreiche ich kaum mein Zimmer, werfe mich außer mir auf die Knie, und o Gott! du gewährtest mir das Labsal bittersterTränen!TausendAussichten wüteten durch meine Seele, zuletzt stand er da, fest, der letzte, einzige Gedanke: ich will sterben! Ich legte mich nieder, und morgens, in der Ruhe des Erwachens, steht er noch fest, noch stark in meinem Herzen: ich will sterben!
Es ist nichtVerzweiflung, ist Gewißheit, daß ich ausgelebt habe, daß ich mich opfere nun für Dich. Ja, Lotte! warum soll ich es verschweigen? Eins von uns dreien muß hinweg, und das will ich sein! O meine Beste! In diesem zerrissenen, geteilten, verdammten Herzen ist es wütend herumgeschlichen oft, Deinen Bräutigam zu ermorden! – Dich! – mich! – So sei es!
Wenn Du hinaufsteigst auf unseren Berg, an einem schönen Sommerabend, dann erinnere Dich meiner, wie ich oft dasTal heraufkam, dann blicke nach dem Kirchhof hinüber nach meinem Grabe, wie derWind das hohe Gras im Schein der sinkenden Sonne hin- und her wiegt. Ich war ruhig, da ich diese Zeilen anfing; nun weine ich wie ein Kind, da alles das so lebhaft wird um mich.
Der Herausgeber an den Leser.
Gegen zehn wurde im Forsthaus Lärm vernommen, helle Schreie derTodesnot, man hätte es für nächtliche Jagdlaute gehalten, eines Raubvogels, der auf Beute fliegt, wäre derVorfall mit dem toll gewordenen Hund nicht noch in aller Sinn gewesen. Man lud die Flinten, der Förster gab Befehle. Knechte und Stallburschen, jeder Mann wurde bewaffnet,Albert nahm die Pistolen von derWand. Lotte blieb bei den Kleinen, von denen einige erwacht,
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