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Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Üblen, sondern zum Heil ausschlägt, weshalb sie Erschreckendes zu leiden haben, am guten Ende aber erlöst werden mögen. Lotte fragte sich, obWerther solcher Erlösung teilhaftig würde, da er zwar die Heldenhaftigkeit besessen, über den grausen Bären zu siegen, sich im nächstenAugenblick aber zumTier herabgelassen hatte, das sich seines körperlichenVorteils bediente, die Jungfräulichkeit der Geretteten zu beschmutzen. Daß Lotte selbst die Ermächtigung zu solcher Leidenschaft inWerther ausgelöst und nichts unternommen hatte, sie zu unterbinden, mag eine vageAnfechtung in ihr gewesen sein, die sie mithilfe widerstreitenderArgumente niederrang.
    Vor allen Dingen war es die mißmutige Vergleichung ihres gegenwärtigen Zustands mit den Tagen unbefangener Unschuld, was das Fräulein beschäftigte. Wo wollte das hin, die Aufgewühltheit und Zerrissenheit, die sie an sich nicht kannte, und mit der sie nicht das Mindeste anzufangen wußte. Wie sollte sie, bar ihrer selbst, dem Verlobten entgegengehen? wie ihm eine Szene bekennen, für die es keine Worte gab, und die zu gestehen sie sich nicht traute? Sie hatten Tage nichts voneinander gehört, nicht gesprochen; nun sollte die unerhörte Nachricht die erste sein, die das Stillschweigen brechen, das Unaussprechliche zur Unzeit vortragen würde? Lotte fürchtete, daß der bloße Bericht über den Spaziergang mit Werthern – ohne Begleitperson im Wald! Albert einen unangenehmen Eindruck machen würde, nun gar die Katastrophe!
    Durfte sie hoffen, daß ihrVerlobter diese im rechten Licht sehen und ohneVorurteil aufnehmen würde? Durfte sie hoffen, daßAlbert den Zusammenhang zwischen demTier, zu demWerther werden mußte, um den Bären zu besiegen, und demTier, das er war, als er sich ihrer liebestrunken bemächtigte, herstellen und sachlich urteilen würde, wie es sonst seineArt? Konnte Lotte sich verstellen gegen den Mann, vor dem sie immer wie ein kristallhelles Glas offen und frei gestanden, und dem sie keine ihrer Empfindungen jemals verheimlicht, noch – und das zählte! verheimlichen hatte können? Eins und das andere machten ihr Sorge, setzten sie in tiefeVerlegenheit. Immer kehrten ihre Gedanken wieder zuWerthern, der für sie verloren war, da er eine Grenze der Gehörigkeit durchbrochen hatte, die Charlotten heilig war, weshalb sie ihn leider sich selbst überlassen mußte, genau wie das Ereignis, um das es ging, ewig im finsternWald eingesperrt bleiben sollte. Der tote Bär in seinem Blut, der fletschendeWolf und die hingebungsvolle Jungfrau mußten für immer als Geheimnis zwischen den dunklenTannen verschwinden. So lange würde Lotte über das Gewesene hinwegsehen, es in ihrem Herzen beiseite schieben, bis es einesTages tatsächlich nicht mehr war, und dieserTag, spürte sie, war nicht fern. Sie wollte Hochzeit halten wie geplant, wie jeder im Umkreis es erwartete und wie Lotte es in fast jeder Minute als richtig und schicklich empfand. Über kurzeAbschweifungen ihrer Sehnsucht mochte hinweggesehen werden.
    So geschah es.Albert kam zurück. Lotte ging ihm in verlegener Hastigkeit, doch innerlich mit besterAbsicht entgegen. DerVerlobte war nicht heiter, sein Geschäft war nicht vollbracht, er hatte an demWiderpartner einen unbiegsamen, kleinmütigen Menschen gefunden.Albert fragte, ob etwas vorgefallen sei, und sie antwortete:Werther sei gestern nachmittags dagewesen. Er fragte, ob Briefe gekommen und erhielt zurAntwort, daß ein Brief und Pakete auf seiner Stube lägen. Er ging, Lotte blieb allein, was ihr recht war, denn einer, der nichts hören wollte, dem sollte man auch nichts sagen. Die Gegenwart des Mannes, den sie ehrte, dem sie sich angehörig fühlte, brachte den Eindruck der Festigkeit in ihr Herz. Eingedenk seiner Sachlichkeit, seiner verständigen Güte undAusgeglichenheit beruhigte sich auch Lottens Gemüt, sie fühlte den deutlichen Zug,Albert zu folgen, nahm ihre Stickerei zur Hand und ging auf sein Zimmer. Sie fandAlbert beschäftigt, die Pakete zu erbrechen und zu lesen. Einige schienen nicht dasAngenehmste zu enthalten. Sie tat Fragen an ihn, die er kurz, aber liebenswürdig beantwortete, während er sich an sein Pult stellte, um zu schreiben.
    Sie waren auf dieseWeise eine Stunde nebeneinander, und Lotte fühlte, wie schwer, wie unmöglich es ihr sein würde, demVerlobten, auch wenn er bei bestem Humor wäre, zu entdecken, was ihr trotz aller Beschönigung am Herzen lag.Während sie abermals das Für undWider in sich auf dieWaagschale

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