Werther, der Werwolf - Roman
legte, ihreWehmut vorAlbert zu verbergen suchte und sich hinter ihrem Stickrahmen verbarg, während sie ihreTränen verschluckte, kam der Bediente und kündete,Werther lasse sich melden.
Der Unmut anAlbert war nicht zu übersehen, Lotte meinte einWort wie: er schon wieder! zu verstehen,Albert ließ fragen, was zu Diensten stünde, er sei in unaufschiebbaren Geschäften, und seineVerlobte fühle sich nicht wohl. Der Diener ging und kehrte wieder,Werther bitte um Nachsicht, zugleich dringend um Einlaß, eineAngelegenheit von größter Bedeutung erlaube keinenAufschub.
DasWort setzte Lotte inVerlegenheit, ihreAhnungen schossen kreuz und quer, daß der Busen sich heftig hob und senkte.Albert, der es bemerkte, wollte dem Diener abermals abschlägige Botschaft auf denWeg geben, Lotte aber, die der Klärung nicht länger aus demWeg zu gehen sich in der Stimmung fand, legte die Hand auf denArm desVerlobten.
–Was wird es schon sein? eine vonWerthers Grillen, sagte sie. Er gibt ja doch nicht Ruhe, als bis wir ihn angehört.
Da lächelteAlbert über den klugenWitz seiner Braut und nickte dem Diener zustimmend, der forteilte,Werther zu holen.
Von dessenVerworrenheit und Leidenschaft, von seiner Lebensmüdigkeit sind einige hinterlassene Briefe die stärksten Zeugnisse, die wir hier einrücken wollen.
Am 9. Juli.
Sie sieht nicht, sie fühlt nicht, daß sie ein Gift bereitet, das mich zugrunde richtet!Was soll mir der gütige Blick, mit dem sie mich gestern angesehen?Was soll die Gefälligkeit, womit sie denAusdruck meines Gefühls aufgenommen – des größten, wildesten, des allumfassendsten Gefühls,Wilhelm! Ein Mitleiden war’s von ihrer Seite, eine Beschwichtigung dessen, was zu bekennen ich ins Jagdhaus getreten.
Als ich auf sie zugehe, reicht sie mir die Hand und sagt: GutenAbend,Werther. Es fuhr mir durch Mark und Bein, denn sie behandelte mich mit der liebenswürdigsten Gleichgültigkeit, die sich vorstellen läßt, und nicht wie einen Geliebten, einen Bräutigam, dessenWolfsbraut sie sein soll auf immerdar! Fühlt sie, was ich dulde?Weshalb ihre Unnahbarkeit? Ihr kühler Blick dringt mir tief durchs Herz: voll des innigstenAnteils, doch von Glut und Feuer einer unanfechtbaren Liebe ist nichts in ihrenAugen. Freund! ich wollt mir schier die Brust zerreißen und das Gehirn einstoßen ob derAbtrennung, die sie zwischen uns vollzieht. Daß man einander so wenig sein kann, nach dem Einzigartigen, das wir gewesen, da wir ineinander verschmolzen! Die Liebe und Hitze, die Freude undWonnigkeit, die mir ihr imWald darzubringen erlaubt gewesen, verbietet sie mir jetzt inWort und Gesten. Dagegen scheint sie mit ganzem Herzen und voll Seligkeit ihrenVerlobten anzusehen, ihn beglücken zu wünschen.
Als wollte sie die Qual noch steigern, schenkt sie ihreAufmerksamkeit dem Kanarienvogel, der, bei geöffneter Käfigtür, ihr auf die Schulter fliegt. Ein lieber Freund, nennt sie ihn und lockt ihn auf ihre Hand.
– Er tut gar zu lieb! Sehen Sie, wenn ich ihm Brot gebe, flattert er mit den Flügeln und pickt so artig. Er küßt mich regelrecht, sehen Sie!
Als sie demTierchen den Mund hinhält, drückt es sich lieblich an die süßen Lippen, als könnte es Seligkeit fühlen.
– Er soll auch Sie küssen, sagt Lotte und reicht denVogel herüber. Ich spüre zwar, daßAlbert, der während meines Besuchs bleich und abwesend wirkt, keinen Gefallen an dem tierischen Experiment findet, lasse Lotte aber, sprachlos von ihrer innerenAbkehr, gewähren. Das Schnäbelchen des Kanari macht denWeg von ihrem Mund zu meinem, die pickende Berührung ist wie ein Hauch, eineAhnung liebevollen Genusses, den ich gehabt,Wilhelm! und tausendmal inniger, liebender, uferloser.
– Sein Kuß, kann ich mich nicht enthalten zu sagen, ist nicht ganz ohne Begierde. Er sucht Nahrung und kehrt unbefriedigt von der leeren Liebkosung zurück.
– Er ißt mir auch aus dem Munde, antwortet Lotte, als hätte sie keine Mutmaßung, was ich damit zu sagen versuche. Sie reicht ihm darauf Brosamen mit den Lippen und lächelt voll unschuldig teilnehmender Liebe, als hätte sie unsere blutvollen Küsse imWald nie erlebt oder vollständig vergessen.
Ich kehrte das Gesicht weg,Wilhelm! konnte nicht länger hinschaun, wie sie ein unschuldigesTier küßt, mich aber nicht. Sie soll meine Einbildungskraft nicht mit geheuchelten Bildern himmlischer Unschuld reizen, mein Blut so mächtig inWallung bringen, daß ich nicht an mich halten und den anderen hervorlassen
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