Werther, der Werwolf - Roman
der Förster gebietet, nun sei es genug, die Gefahr gebannt, jeder solle in seine Kammer; bis schließlich der Familienrat besprochen, welcheArt Überfall dies gewesen und was ihn ausgelöst habe.
Nur eine blieb während der Zeit gelassen, still, abgeschieden von den übrigen – Charlotte. Nachdem die Riegel geprüft, alle Büchsen nachgeladen waren, nachdem jeder in sein Bett zurückgekehrt ist, setzt Lotte sich, nimmt dasAmulett zur Hand, dasWerther ihr überlassen, und betet inbrünstig. Betet nicht um eigene Ruhe noch ihr Seelenheil, fürWerther betet sie, den sie heut zum zweiten Mal in anderer Gestalt gesehen, dessenVerdammnis sie kennt, aber nicht abzuwenden weiß. Das stürzt die gute Seele in tiefeVerzweiflung. Im Morgengrauen findet sie sich zusammengesunken auf den Fliesen, schleicht fröstelnd zu Bett und findet doch keinen Schlaf.
Am 11. Juli.
O Lotte! die Scham! meineAbscheu!Was habe ich euch, den liebsten Menschen, angetan, wieviel Schrecken über euch gebracht!Wie leicht wäre der Spuk, als den ihr das nächtliche Ereignis deuten mögt, in wahres Grauen umgeschlagen, hätte mich mein Freund und Führer, der treue Nero, nicht zur rechten Zeit vom Blutwahn abgebracht. Ich mag nicht denken, wie Du mich heute Nacht gesehen, Lotte, will nicht hoffen, daß Du mich so in Erinnerung behältst!Vergib mir! vergib dies Gestern! ach, wäre es der letzteAugenblick meines Lebens gewesen!
Dabei fühlte ich mich, als ich der andere war, Dir Engel näher. Da Du, umringt von Deinen Kleinen, mir gegenübertratest, durchglüht mein innig Innerstes dasWonnegefühl: Sie fühlt mit mir! Es brennt in mir das Feuer noch, das aus DeinenAugen strömte, gleich einem Muttertier wolltst Du die Kinder schützen und hättest Dich dazwischengeworfen, wenn sich derWolf ihnen genähert. Da Du in mir die Gefahr gewittert, waren wir einander nah, inWildheit eins, feindlich verschmolzen – fühltest Du’s auch?
Aber nein! vergib mir, vergib! Daß dies unserAbschied werden soll, wollte ich nicht, er ward es, denn heute, wenn der Mond zu voller Größe aufgeht, wandelt sich mein Seelenlicht, bin ich nicht länger, der ich war! Ewiglich ist dann Dein sanfter Händedruck, Dein seelenvoller Blick für mich verloren.Wenn ich dann durch die vertrautenWälder streife, werde ichAlberten an Deiner Seite sehn und will doch ruhig bleiben. Es ist gut so: da ich als Mann Dich nimmer freien konnte, will ich als Dein Schutzgeist um Dich sein. Ich weiß, alles ist vergänglich, Lotte! aber keine Ewigkeit soll das feurige Licht auslöschen, das ich in DeinenAugen gesehen und weiß seitdem, Du liebst mich auch! DeinArm hat mich umfaßt, Deine Lippen haben auf meinen Lippen gezittert, Dein Mund hat an dem meinigen gestammelt. Du warst mein! Lotte, bist es, sollst es auf ewig sein. Ich träume nicht, wähne nicht, auf meinem Pfad derWandlung wird es heller.Wir werden sein! Du und ich, jeder für sich und doch vereint!Wir werden uns wiedersehn. Ich finde Dich, auch wenn ich der andere bin, Lotte! leb wohl, wir sehn uns wieder, gedenke DeinesWerther, zage nicht, ob Du ihm gut sein darfst.
Heute geschieht es, heut oder nie mehr. HeutAbend hältst Du dies Papier in Deiner Hand, zitterst und benetzest es mit liebenTränen. Ich will, ich muß! O wie wohl ist mir, daß ich nicht nur verdammt, daß ich jetzt auch entschlossen bin, ein anderer zu werden!
Zum letzten Mal denn, zum letzten Male schlage ich dieseAugen auf. Sie sollen, ach, die Sonne nicht mehr sehen; der trübe, neblichteTag hält sie bedeckt. NichtWerther, der andere wird statt meiner dieAugen auftun und den geschäftigenTag, die ruhelose Nacht betrachten, jener, von dem ich sagen werde: Du hast ihn gekannt.Was wird die Kreatur in mir vom Menschsein wissen, wieviel vonWerther wird imTier noch leiden, hoffen, glauben dürfen? So trauere denn, Natur! dein Sohn, dein Freund, dein Geliebter naht sich seinem Menschenende – und freue dich zugleich, da er dir neu geschenkt sein wird, verwandelt. Das ist ein Gefühl ohnegleichen, sich zu sagen: dein letzter Morgen. Der letzte! ich habe keinen Sinn für diesesWort: werde ich doch nicht, gleich denToten, ausgestreckt am Boden liegen und nimmer sein, nicht tot sein. Das eine Leben wird schwinden und das andere erwachen. Sterben! heißt das nicht auferstehen, ist es das nicht, was wir geheißen sind zu glauben? Siehe, wir träumen, wenn wir vomTode reden, von einem Leben, das danach kommt, doch kein Lebender kennt es. Ich aber, vielmehr der, der nach
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