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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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mich mögen.«
    »Sie schläft doch! Du bist gemein, solche Sachen mit ihr zu machen, wenn sie schläft.«
    Der Junge schäumt vor Wut. Ich höre auf, die Frau zu streicheln, und lege meinen Arm wieder um sie. Sie drängt sich näher an mich, und ihr Atem geht rascher.
    »Vielleicht sind wir gar nicht so verschieden voneinander, Charles.«
    »Doch«, widerspricht er. »Du bist nicht –« Dann schreit er mich wieder an: »Du redest ja nur, um mich abzulenken, damit du daliegen und sie in deinen Armen halten kannst.«
    »Aber, Charles, ich habe dir das Leben gerettet – schon wieder.«
    Schweigen. »Es macht mir Spaß, mit dir zu reden, Charles.«
    Schweigen.
    Doch unglücklicherweise hat der Junge recht. Ich spüre Bewegung draußen. Jetzt höre ich das Geräusch eines Autos. Ein Stück weiter straßenabwärts hält es an. Menschen steigen aus, drei. Ich kann sie beinahe sprechen hören. Nun ja, es war schön, Mrs. Lanphier, murmle ich ihr ins Ohr.
    Aber jetzt müssen wir uns trennen. Ich gebe sie Charles Cahill zurück, dem jugendlichen Helden.
    Ich konzentriere mich, verwandle mich.
    Charles setzte sich auf, nahm Claires Kopf in seinen Schoß und schüttelte sie sachte, klopfte ihr die Wangen und blickte wie gebannt auf ihre Augenlider.
    »Claire, Claire, wachen Sie auf. Da draußen sind Leute. Ich muß raus und um Hilfe rufen.«
    Sie zog ihren Körper vor Kälte zusammen. Wieder schüttelte er sie, dann stürzte er zur Tür, schleuderte die Kisten zur Seite und riß sie auf. Der kalte Wind knallte ihm ins Gesicht, daß sich seine Augen ganz steif anfühlten. Ja, dachte er, da draußen wären sie wirklich erfroren. Es mußte an die dreißig Grad unter Null haben. Er stapfte hinaus in den knietiefen Schnee und sah, daß die Spuren verwischt waren, wie das Tier gesagt hatte. Das Tier? Er schlug sich diesen merkwürdigen Gedanken aus dem Kopf. Seine Füße und Hände waren schon starr vor Kälte, als er ein paar Schritte in den Schnee hinausging und hörte, wie er unter seinen Füßen knirschte.
    Unten an der Straße, wo der Auburn die Böschung hinuntergestürzt war, hatte ein Lieferwagen angehalten. Männer liefen im Graben hin und her und um den Lieferwagen herum. Einer von ihnen bemerkte plötzlich die Spuren im Schnee und wies auf Charles. Er schwenkte die Arme wie ein Besinnungsloser und bedeutete ihnen, zu dem Schuppen zu kommen. Hinter sich hörte er, wie Claire sich regte. Dann erschien sie in der Tür des Schuppens, die Arme eng um ihren Körper geschlungen.
    »Ach, Charles, mein Kopf«, stieß sie lallend hervor. »Was hast du mit deinem Pelzmantel gemacht?«

6

    Mitte Januar erhielt Charles ein kleines Paket, dem ein Brief beigelegt war. »Mein allerliebster junger Held, ich bin sicher, daß ich diesen Glücksbringer aus Stein an dem Abend bei Dir gesehen habe, als ich mich so töricht benommen und unser beider Leben in Gefahr gebracht habe. Der Mechaniker, der sich meines armen Autos angenommen hat, fand ihn und gab ihn mir freundlicherweise zurück. Wenn er doch nicht Dir gehört, dann haben wir vielleicht durch Zufall eine archäologische Fundstelle präkolumbianischer Artefakte entdeckt, und ich werde es mir in der Hoffnung auf weitere Funde zur Gewohnheit machen, mein Auto in den Graben zu fahren. Ein Bekannter von mir hier in Chicago sagte, es sei jedenfalls ein seltenes Stück, und er bot mir eine interessante Summe dafür. Wenn Du es also einmal verkaufen möchtest, um dafür ein Jahr aufs College zu gehen, dann laß es mich wissen.
    Es wird Dich freuen zu hören, liebster Charles, daß ich mir unser letztes Gespräch am Bahnhof gründlich durch den Kopf habe gehen lassen und ein neues Leben angefangen habe. Nicht ein einziges Mal, seit wir uns getrennt haben, habe ich die Kaledonischen Inseln aufgesucht, und es ist meine feste Absicht, eine eingefleischte Blaunase zu werden. Dir habe ich es zu verdanken, Charles, daß mein Leben nicht nur gerettet wurde, sondern daß ich jetzt auch daran bin, es wirklich umzukrempeln. Ich denke mit warmer Zuneigung an Dich. Bitte vergiß nicht, daß meine Einladung an Dich, mich in Chicago zu besuchen oder dort, wohin mich sonst vielleicht der Wind treibt, von Herzen kommt und aufrichtig gemeint ist. Bleib gesund und bewahr Dir Deine Hochherzigkeit und Deinen Mut.
    In Liebe, Claire Lanphier.«

    Diese letzte Ermahnung traf Charles mitten ins Herz. Seit einiger Zeit nämlich wurde er immer deutlicher gewahr, daß in ihm eine Kraft wucherte, die ihn im Wachen

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