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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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er ihn neckte.
    »In welcher Klasse bist du?« erkundigte sich Douglas in dem Bemühen, den anderen Jungen der Schwindelei zu überführen.
    »Ich war mein Lebtag in keiner Schule«, antwortete Charles. »Aber ich würd’ gern gehen, das kann ich dir sagen.«
    »Du warst noch nie in der Schule?«
    »In welcher Klasse bist du denn?«
    »Ich komme dieses Jahr in die fünfte. Letztes Jahr hab’ ich eine Klasse übersprungen, und jetzt bin ich in derselben Klasse wie Rudy. Rudy ist mein nächstälterer Bruder«, fügte Douglas hinzu.
    »Ich kann mir vorstellen, daß der doofe Rudy das prima findet«, bemerkte Charles grinsend. Ihm wurde langsam kalt im Wasser.
    »Eigentlich ist er gar nicht doof«, versetzte Douglas. »Aber woher weißt du, daß er sich darüber geärgert hat?« Dann erhellte sich sein Gesicht. »Ach so, ja, ich versteh schon.« Er sah den anderen Jungen mit mehr Achtung an.
    »Sag mal, du könntest mir wohl nicht helfen?« fragte Charles mit einem leichten Frösteln.
    »Aus dem Wasser raus? Ach so, du meinst, ob ich dir was zum Anziehen verschaffen kann und so?«
    »Genau. Ich würde dafür arbeiten oder es irgendwie zurückzahlen. Aber eine Weile würde das schon dauern, zur Zeit hab’ ich nämlich nichts als meine Schönheit.« Charles grinste.
    Douglas betrachtete nachdenklich den größeren Jungen, der sich in seinem großen, kräftigen Körper wohlzufühlen schien; er schwamm erstklassig, verstand, die Leute zu nehmen, und hatte wahrscheinlich Tausende von Abenteuern erlebt. Douglas holte tief Atem.
    »Ich besorg dir ein paar alte Sachen von Rudy oder Carl. Carl ist mein ältester Bruder«, erklärte er.
    »Himmel, wie viele Brüder hast du eigentlich?«
    »Nur zwei, aber Ma erwartet ein Baby, und bis Weihnachten werden wir wahrscheinlich einer mehr in der Familie sein, sagt Pa.«
    »Also, ich würde mit dir durch dick und dünn gehen, wenn du mir ein paar Sachen besorgen kannst, damit ich mich wieder sehen lassen kann«, sagte Charles, während er durch den Schlamm zum Ufer watete. »Wenn die alte McGee mich noch mal so in ihrem Garten sieht, fällt sie vor Schreck bestimmt tot um.«
    Ich fühle mich wohl hier in diesem geräumigen, luftigen Stall, dessen Heuboden sich langsam füllt. Unten stehen ein Dutzend prächtige holsteinische Kühe in ihren Boxen, dazu zwei Pferde und ein einjähriges Fohlen am anderen Ende. Es gibt hier alle möglichen Winkel und Nischen, wo ich mich verkriechen kann, und mehrere Türen, durch die ich nachts hinausschlüpfen kann. Die Hunde haben rasch gelernt, mich in Frieden zu lassen. Aber es ist eine merkwürdige Situation. Ich hab’ das Gefühl, ein Doppel-Doppelleben zu führen. Douglas bringt Charles Kleider und Essen, wann immer er kann, gewissermaßen als Entgelt für die Geschichten, die Charles ihm von seinen Abenteuern erzählt; wo er diese Geschichten allerdings her hat, ist mir schleierhaft. Ich scheine mich in einen Menschen verwandelt zu haben, der eine unerschöpfliche Gabe besitzt, die Leute mit Flunkereien zu unterhalten, und genau das ist es, was dem jungen Bent gefällt.
    Ich werde jetzt zur Schule gehen. Sie fängt in der übernächsten Woche an, und ich bin fest entschlossen, das Lesen zu lernen. Ich hatte gedacht, daß Charles mit seiner Zungenfertigkeit sich vielleicht mit Lügen einen Platz in dem kleinen Backsteinschulhaus erschleichen würde, das kaum eine Meile vom Hof der Bents entfernt ist. Doch es erweist sich, daß Lügen nicht notwendig sind. Das ist Mrs. Stumway zu verdanken, einer Witwe, die ganz allein in ihrem geräumigen Steinhaus lebt, nicht mehr als eine Viertelmeile von der Schule entfernt.
    Charles erfuhr von ihrer Existenz, als er und Douglas eines Tages durch eine Lücke im Zaun in ihre Apfelplantage schlüpften. In Wirklichkeit war es gar keine Plantage mehr, es standen nur noch ein paar verkümmerte Bäume mit wurmigen Äpfeln da, doch das Gelände war abgelegen vom Haus, versteckt in dem fünf Morgen großen Waldstück, das einzige, was der alten Frau von einem Grundbesitz übriggeblieben war, der ihr und ihrem Mann einmal gehört hatte. Von der Straße her war ihr Haus unsichtbar. Es stand inmitten des fünf Morgen großen Grundstücks, verborgen hinter Eichen, Ahornbäumen, Obstbäumen, einigen Fichten und anderen immergrünen Bäumen, Flieder- und Haselnußbüschen, die zu hohen Hecken zusammengewachsen waren. Wucherndes Dickicht aus Himbeer- und Stachelbeersträuchern füllte die Lücken, so daß Mrs. Stumway wie ein

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