Werwelt 01 - Der Findling
ein Versehen. Rede nicht so.«
Doch Alfred war wütend. Weil er bei diesem Spiel nicht mitgemacht hatte, hatte er, einen Tom Collins in der Hand, den Mr. Bailey ihm gemixt hatte, hinter Betty gestanden und sich über ihre Schulter gebeugt. Als Betty aufgesprungen war, hatte ihre Schulter genau das Glas mit dem Tom Collins getroffen, es war nach rückwärts gekippt, und der ganze schöne Cocktail hatte sich über Alfred ergossen und ihn von der Brust bis zu den Knien naß gemacht. Besonders peinlich war ein großer dunkler Fleck auf der hellblauen Hose in Schritthöhe. Alfred schimpfte weiter wie ein Rohrspatz, während er sich abtupfte, bis ihm Betty schließlich mit strengem Ton befahl, er solle das Zimmer verlassen, weil er das ganze Spiel verderbe. Und überhaupt hätte er das Zeug gar nicht trinken sollen. Alfred zog ab, stampfte wütend die Treppe hinauf, nicht ohne noch einen vielsagenden Blick auf Charles zu werfen, der noch immer grinsend in der Mitte des Kreises hockte.
Nach dem Flaschendrehen kam das Postspiel, das unter viel Gekicher von Fern Portola vorgeschlagen wurde, nachdem diese zuvor ausgiebig mit ihrer Zwillingsschwester getuschelt hatte. Brenda Gustafson sagte, sie fände das Spiel blöd, doch sie wurde überstimmt, und nachdem man die Schiebetür des Wohnzimmers ein ganzes Stück zurückgezogen hatte, wurde die dunkle Nische draußen unter der Treppe zum Postamt bestimmt. Charles, der das Spiel nicht kannte, sah verwundert zu, wie Carl in der Finsternis hinter der Tür verschwand und dann mit lauter Stimme rief: »Ein Brief für Carol Jones.«
Kichernd sprang Carol auf und schoß aus dem Zimmer in den dunklen Flur hinaus. Nachdem man ein Weilchen nichts anderes als einige merkwürdige Geräusche von draußen gehört hatte, kam Carl Bent mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht wieder hereingetrottet und ließ sich in einen der tiefen Polstersessel fallen, wo er murmelnd eine Bemerkung zu Paul Holton machte.
»Expreßbrief für Frank Kearny«, schallte Carols Stimme aus der Dunkelheit, und Alfreds älterer Bruder ging unter vielen Oh und Ah über Carols Mut zur Tür hinaus. Danach erschien Carol wieder, ebenfalls grinsend, und setzte sich. Langsam begann es Charles zu dämmern.
Als Flossie von Frank hinausgerufen wurde, blieb sie sehr lange fort, bis Betty schließlich rief: »Mensch, los, Flossie!« Danach folgte leichtes Gemurmel von dem Paar in der Finsternis, bis dann Frank wieder hereinmarschierte und sich neben der Tür auf den Boden setzte. »Luftpostexpreß«, rief Flossies Stimme aus der Dunkelheit, »für Charles Cahill.«
»Donnerwetter!« »Luftpost!« »Und Expreß dazu!«
Charles ging zur Tür hinaus. Nur schattenhaft konnte er Flossie sehen, die in der Nische unter der Treppe auf ihn wartete. Er tastete sich zu ihr hin und wollte eben fragen, was er jetzt tun müßte, als sie ihm beide Arme um den Hals legte und ihren feuchten Mund auf seine Lippen drückte. Er war völlig überrascht, wollte zunächst zurückweichen, dann aber schoß ihm die eigene Erregung wie ein Adrenalinstoß ins Blut. Er fühlte sich plötzlich größer und stärker, vielmehr Herr der Situation. Er legte seine Arme um Flossies biegsamen Körper, spürte ihre Rippen und den gerundeten Rand einer Brust unter der einen Hand, ihre Hüfte unter der anderen, während er sie an sich drückte und spürte, wie ihr Mund sich öffnete und ihre Zunge sich über seine Lippen schob. Das Schwindelgefühl stieg ihm zuerst in den Kopf und dann in die Lenden, und es mischte sich mit Furcht und einem krampfhaften Begehren, das er nie zuvor verspürt hatte.
In diesem Augenblick schiebe ich mich ganz dicht unter die Oberfläche, um zu fühlen, was Charles fühlt, ohne diese Gefühle in Frage zu stellen oder mich verwandeln zu wollen. Ich lasse mich einfach von dem durchströmen, was in Charles’ Körper vor sich geht, der in diesem Augenblick einer neuen Fabrik gleicht, die zum erstenmal in Betrieb genommen wird. Das Herz pumpt neues Blut, die Lungen atmen einen neuen Duft, der aus dem Körper und dem Haar des Mädchens emporsteigt, die Drüsen produzieren neue und exotische Säfte, die berauschen und in Charles und mir ganz neue Gefühle entstehen lassen. Alle seine Nerven schwingen auf der gleichen Wellenlänge und sein Geist entschwebt in eine gedankenleere Sphäre, wo es nur die sinnliche Erregung seines Mundes und seiner Hände gibt und die wachsende Spannung in seinen Lenden.
»Mensch, Charles«, murmelte Flossie,
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