Werwelt 02 - Der Gefangene
Körpers konzentrieren.
Ich fühle mich wesentlich besser. Vielleicht liegt’s an den Ratten. Es sind fast keine mehr oben im Stall. Sie sind zwar nicht gerade das Schmackhafteste, was man sich vorstellen kann, aber sie sind nahrhaft. Heute Abend werde ich sehen, ob ich nicht ein paar vom Getreidesilo zu mir hereinlocken kann.
Gelegentlich stechen Blitzlichter in meine Zelle herein, und einmal am Tag bringt mir eine uralte Frau in einem scheußlichen geblümten Kleid Hundefutter und Brei und spritzt mir mit dem Gartenschlauch frisches Wasser in den Eimer. Sie scheint jetzt alle Furcht verloren zu haben, da ich mich in ihrer Anwesenheit niemals rühre, und einmal habe ich gehört, wie sie draußen zu Anderson sagte, daß ›das arme, alte Ding wahrscheinlich sterben wird‹. Schon richtig, wenn das, was sie mir hier an Nahrung bieten, meine einzige Kraftquelle wäre, dann würde ich bestimmt dem Tode nahekommen.
Aber es gibt da noch ein anderes Problem, dem sich wohl jedes Wesen, auch der Mensch, gegenübersieht, wenn er sich in Gefangenschaft befindet. Meine Exkremente haben genau wie der Kot der meisten anderen Tiere einen ekelhaften Geruch, und die alte, modrige Matratze verbreitet auch nicht gerade einen angenehmen Duft. Bald wird meine Zelle von einem Gestank erfüllt sein, der mir heftiges Unbehagen verursacht, obwohl meine Schmerzen stetig nachlassen. Ich kann die Krallen meiner linken Pfote wieder bewegen, und der Schmerz im Sprunggelenk ist bei weitem nicht mehr so quälend wie zuvor. Das Hinterbein macht mir gelegentlich immer noch zu schaffen, doch mein Rücken fühlt sich schon recht gut an, und die Rißwunden am Bauch sowie das zerfetzte Ohr heilen jetzt richtig zu. Auch innerlich fühle ich mich kräftiger, aber ich will nichts überstürzen.
Wenn die alte Frau heute kommt, werde ich versuchen, ihr durch ein Zeichen meine mißliche Lage begreiflich zu machen. Ich schiebe das ganze schmutzige Stroh und die Matratze vor die Tür und lege mich auf den Steinboden. Meine Ketten klappern klirrend. Jetzt muß sie entweder durch das Stroh waten, um zu meinem Futternapf und zum Wassereimer zu gelangen, oder aber sie wird begreifen, daß ich das schmutzige Zeug los sein möchte.
Die alte Frau hat gut reagiert. Sie hat noch jemanden aus der Familie geholt, um den Dreck hinauszuschleppen und mir frisches Stroh in die Zelle zu werfen. Sie fanden dieses Bedürfnis nach Sauberkeit intelligent, aber der große, dicke junge Mann, den ich für den Sohn des Fettwanstes halte, erklärte, es wäre auch nichts anderes als bei den Katzen, wenn die in den Kasten machen. Alle Bären hielten das so.
Noch eine Woche vielleicht, dann kann ich mich davonmachen. Ich werde mich verwandeln und aus dieser lächerlichen Situation einfach verschwinden. Die scheinbare Geborgenheit dieses Verlieses ist gefährlich für mich. Ich vergesse, daß diese Leute nicht mehr in mir sehen als ein großes, gefährliches Tier, das vernichtet werden muß, wenn es übermütig wird, mit dem man vielleicht Experimente anstellen kann, wenn es Anzeichen von Intelligenz zeigt. Ich habe es sorgsam vermieden, auch nur einen Schatten von Klugheit zu zeigen, damit meine Beobachter nicht etwa auf den Gedanken kommen, mich in irgendeine Universität oder in ein Laboratorium zu bringen, wo Fachleute mich in Augenschein nehmen können. Diese Möglichkeit ist die schlimmste, die ich mir abgesehen vom Tod durch eine Gewehrkugel oder durch Giftgase vorstellen kann.
Es kommen keine Leute mehr ans Fenster. Die Nächte sind jetzt beinahe so heiß wie die Tage, und während des Tages wird es in meinem Verlies so stickig und feucht wie in einem Dampfbad, obwohl der Raum teilweise unter der Erde liegt. In den letzten Tagen muß es draußen an die vierzig Grad Hitze gegeben haben.
Doch jetzt höre ich vor meiner Tür die leise Stimme des Fettwanstes, der sich mit einem Fremden unterhält.
»Ich glaub’, er erholt sich langsam«, sagt der Fettwanst.
»Am besten sperrst du ihn schleunigst in den Käfig, den du dir gerade machen läßt, Otis«, antwortet die andere Stimme. »Sonst schießt das Biest eines Tages noch aus dem Keller wie eine ganze Ladung Dynamit.«
»Ach, Quatsch. Die Tür ist durch und durch Eiche, und das Fenster ist viel zu klein. Da kommt’s nicht raus.«
»Ja, aber der Boden über den Balken ist nur aus Brettern, und die sind keine fünf Zentimeter dick.«
»Mensch, glaubst du vielleicht, wir haben einen gottverdammten Grislybären hier
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