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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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sehen ist. Gleich innerhalb der offenen Stalltür, am oberen Ende der leicht ansteigenden Zufahrt, sitzt zurückgelehnt ein Wachposten mit einem Gewehr auf seinem Stuhl. Er schläft und ist wahrscheinlich betrunken. Der Dickwanst hat all denen, die ihm geholfen haben, Geld versprochen, und nun feiert man meinen Verkauf. Ich habe nicht gehört, wer der Käufer ist, doch wenn sich in dieser Nacht eine Gelegenheit zum Ausbruch bietet, so muß ich sie beim Schopf packen, obwohl ich noch immer nicht fähig bin, mich zu verwandeln. Ich glaube, morgen wollen sie mich zur öffentlichen Zurschaustellung vor dem Verkauf in eine Stadt bringen. Vielleicht werden sie mich an den Meistbietenden versteigern.
    Kein Lüftchen regt sich. Die Blätter der mächtigen Ulmen rund um den Hof hängen so unbewegt wie auf einer Fotografie. Ich habe Mühe, meine Körpertemperatur auf einem angenehmen Niveau zu halten, weil ich keine Möglichkeit habe, mich zu bewegen. Da! Wetterleuchten im Südwesten. Es erhellt eine schwarze Unendlichkeit, unter der die zackigen Lichtstrahlen den Himmel entlangrasen, als wären sie die Vorboten eines gewaltigen, finsteren Heeres, das auf das Signal zum Angriff wartet. Ich spüre das Grollen des Donners und bald werde ich die Schläge auch hören können. Ein Frösteln durchrinnt mich, während ich auf den ersten kühlen Windhauch warte, wie einer, der nach einer langen Wanderung durch die Wüste nach einem Schluck Wasser lechzt.
    Der Wächter ist unbewegt, wie aus Holz geschnitzt. Reglos hängen die Blätter in der dunklen, schweren Luft. Das ferne Grollen reißt jetzt gar nicht mehr ab, und der Kanonendonner jener fernen, aber ständig näher kommenden Armee erschüttert die Welt von der einen Seite bis zur anderen mit seinem Widerhall. Ich wünsche jetzt, der Käfig wäre etwas geschützter, denn ich weiß, daß es ein sehr schweres Gewitter geben wird. Gewiß wird es Abkühlung bringen, doch ich vermute, daß es höchst unbehaglich sein wird, so offen dem peitschenden Regen preisgegeben zu sein. Jetzt umreißen die Blitze die Bäume jener Höfe, die nicht mehr als zwei bis drei Meilen entfernt liegen. Der Horizont ist zur Kriegsfront geworden, ein Scherenschnitt bauschiger Bäume, kantig emporragender Scheunen, Silos und Häuser, alle scharf abgezirkelt und vom ständigen flackernden Licht der Blitze erhellt. Unaufhörlich grollt der Donner und ist jetzt so nahe, daß ich abschätzen kann, in welcher Richtung die Gewitterfront vorwärtsschreitet. Wir liegen direkt in der Bahn einer mächtigen Gewitterwolke, die sich über ein Gebiet von vielleicht fünfzig Meilen wölbt und sich hoch in den Himmel hinaufbauscht. Mich kribbelt und prickelt es jetzt am ganzen Körper, und ich wünsche, das Gewitter würde endlich mit seiner ganzen Gewalt losbrechen. Ich fühle mich emporgetragen auf einer Wolke der Hochstimmung und habe das Gefühl, völlig gesund und kräftig zu sein, obwohl ich das nicht bin. Es ist wie ein Rausch. Ich fühle mich kräftig genug, die Eisenstangen wie dürre Äste zu knicken, aber ich weiß, daß es eine Illusion ist, die durch die elektrische Ladung der Luft ausgelöst wird. Und noch immer ist kein Windhauch zu spüren.
    In meinem sprudelnden Hochgefühl sende ich meine Willenskraft aus und berühre den schlafenden Wächter. Ich befehle ihm, zum Käfig zu kommen und ihn zu öffnen. Spüre in die Dunkelheit hinaus, seine Bewegungen wahrzunehmen, obwohl ich ihn jetzt im heller werdenden Schein der näherrückenden Blitze beinahe sehen kann. Mit einem Ruck hebt er den Kopf und kippt den Stuhl nach vorn. Beim Aufstehen schwankt er, läßt das Gewehr fallen, stürzt beinahe von der erhöhten Rampe, die zum Stall führt. Ich versuche, ihn zu stützen. Mit einem gebrochenen Genick kann er mir nicht helfen. Mit weichen Knien torkelt er die Rampe hinunter, eine Beute von Alkohol und Schlaftrunkenheit. Doch als er zum Käfig gelangt, und ich, wenn ich wollte, das weiße Gesicht mit den halb geschlossenen Augen und dem schlaffen Mund berühren könnte, stelle ich fest, daß er den Schlüssel zum Vorhängeschloß nicht hat. Verlegen macht er sich an dem großen Schloß an der Tür zu schaffen, wühlt in allen seinen Taschen und fängt schließlich unter der Einwirkung meines unnachgiebigen geistigen Drängens zu weinen an. Mit dem Ärmel wischt er sich das Gesicht ab. Das ist einfach zu absurd. Ich lasse ihn wieder die Rampe hinauf zur Stalltür torkeln. Dort legt er sich auf dem Beton nieder und

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