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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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biegt sich noch leichter als die Brechstange. Nun habe ich also einen Anfang, und der nächste Schritt ist einfacher. Jetzt wird sich herausstellen, wie gut die Vorderläufe verheilt sind. Ich umfasse mit beiden Pfoten eine der Stangen und ziehe aufwärts. Sie bewegt sich! Ich biege sie! Da, die eine hätten wir geschafft. Nun die nächste. Das Locken der Freiheit beflügelt mich. Ich umfasse die zweite Stange.
    Lieber Himmel, nein! Nicht schon wieder. Doch diesmal wittere ich sie schon, ehe sie nahe ist. Die hochgewachsene Frau mit der Büchse. Diesmal fährt sie nicht mit dem Auto vor, sondern pirscht sich unter den Bäumen heran, die die Straße säumen. Sie befindet sich an der äußersten Grenze meines Wahrnehmungsbereichs. Sehr leise nähert sie sich, die Büchse im Anschlag. Ich reiße die zweite Stange ein wenig ungestüm hoch, verrenke mir dabei einen Muskel, doch ich beachte es kaum. Zum letzten Mal liege ich auf der eisernen Bodenplatte und krieche durch die Öffnung hinaus in die Freiheit. Einer der Hunde erwacht, doch ehe er auch nur einen Laut von sich geben kann, bringe ich ihn mit einem stummen Befehl, der beinahe wie ein lautloser Freudenschrei ist, zum Schweigen und lasse ihn fest einschlafen. Mit dem anderen Hund mache ich es ebenso, während ich ständig die Gestalt der Frau mit meinem Raumsinn festhalte. Dann springe ich vom Lastwagen und schleiche mich um das Ende des Fahrzeugs herum. Ich schicke meine Sinne auf Erkundung aus, doch nichts rührt sich auf dem Hof, selbst die Alte oben scheint zu schlafen.
    Der Himmel ist in dieser Nacht von schweren Wolken verhangen, so daß der Mond sich nicht zeigen kann. Ich husche über die festgetrampelte Erde des Hofs, würde am liebsten, aus reiner Glückseligkeit, den neuen Zaun überspringen, den sie errichtet haben, doch das verkneife ich mir, weil ich nicht sicher bin, daß mein Bein einen solchen Sprung aushalten würde. Das Wissen, frei zu sein, endlich wieder laufen und springen zu können, ist berauschend. Ein breites Grinsen zieht mir das Maul auseinander, in meinem Inneren spüre ich Barrys ungestüme Freude. Voller Wonne schmecke ich die kühle Nachtluft und bin mir der geschmeidigen Bewegungen meiner Muskeln bewußt. Ich hätte nicht geglaubt, daß dieses Käfigleben mir so verderblich sein könnte, jetzt aber weiß ich, daß ich ohne Barrys Drängen den Gedanken an Flucht so lange aufgeschoben hätte, bis es zu spät gewesen wäre, bis ich ein Opfer jener Apathie geworden wäre, die einem den Lebenswillen raubt und einem vorgaukelt, daß der Käfig Sicherheit und Geborgenheit bedeutet, während er in Wirklichkeit den langsamen Tod durch völlige Abstumpfung bringt.
    Ich gleite hinter die Bäume und warte auf die Frau. Beim Auftauchen ihrer hochgewachsenen, kantigen Gestalt höre ich überrascht ihre geflüsterten Worte.
    »Diesmal, du teuflisches Geschöpf, diesmal bist du tot. Du wirst für Martin bezahlen, den besten Menschen auf der Welt, meinen Mann. Diesmal bezahlst du, diesmal fährst du schnurstracks zur Hölle hinunter, du Ungeheuer, du Dämon.«
    Mit einem mir fremden Gefühl der Angst warte ich auf sie, während sie näher kommt. Sie ist eine alte Frau, die sich mit einer Büchse bewaffnet hat. Doch gewiß kein Gegner, vor dem man sich fürchten müßte. Doch sie trägt das Amulett. Charles hatte auch so eines, und es hinderte mich daran, mich zu verwandeln. Mit einem Bangen, das beinahe schon Panik ist, überlege ich, ob es ihr gelingen wird, mich daran zu hindern, sie auch nur zu berühren. Ob ich vielleicht in ihrer Nähe gar keine Wahl mehr haben werde, keine Macht, so daß sie mich diesmal tatsächlich töten wird. Ich hatte die Kraft des Amuletts nicht bedacht. Flüchtig frage ich mich, was das für ein Ding sein kann, das solche Macht hat, doch dies ist nicht der Moment, sich solchen niederschmetternden Gedanken hinzugeben.
    Sie ist jetzt sehr nahe, so nahe, daß ich die Ausdünstung ihres Körpers riechen kann. Es ist der vertraute Geruch, bei dem ich weich werde durch die Liebe, die Robert für die Frau empfand. Aber noch etwas anderes spüre ich. Ich weiß jetzt, daß ich sie nicht berühren kann. Ich presse meinen Körper gegen den Baumstamm und hoffe, daß sie nicht zu mir herüberschauen wird, denn ich weiß, daß ich nur ohnmächtig dastehen und mich nicht gegen meinen Tod wehren kann, wenn sie mich erblickt. Die Kraft ist sehr stark.
    Sobald sie auf ihrem Weg zum Hof, wo der leere Käfig auf dem Lastwagen steht, an mir

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