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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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fort.

    Barry ist jetzt völlig erschöpft. Er hat versucht, auf eigne Faust Nachforschungen anzustellen und die Tankstellen am Highway abgeklappert, der stadtauswärts führt, um zu fragen, ob man dort ein schwarzes Auto neuesten Modells mit einem runden Emblem auf der Tür gesehen hätte. Die Tankwarts waren entweder uninteressiert oder feindselig, oder sie konnten nicht richtig Englisch, oder sie waren gestern nicht im Dienst. Ich schnüffle wieder im Garten herum, wandere langsam im Kreis, meine Nase zu Boden gesenkt wie ein Hund oder ein dummer Kojote.
    Ich halte inne, als ich in der Nähe ein Kaninchen wittere. Es wäre nicht übel, einen Happen zu essen, bevor ich weitermache, aber ich bin nicht in Stimmung, dem Tier hinterherzujagen. Ich spüre das Kaninchen etwa dreißig Meter entfernt auf dem unbebauten Grundstück und befehle ihm, zu mir zu kommen. Sein Wellenbild, von meinem Raumsinn eingefangen, rührt sich nicht. Das Kaninchen knabbert ruhig weiter, hält nur ab und zu inne, um zu lauschen, aber es kommt nicht zu mir. Noch einmal, so nachdrücklich, wie es mir möglich ist, gebe ich den Befehl. Nichts geschieht. Irgendwie fällt es jetzt schwer, den Befehl zu geben. Ich spüre, wie sich Muskeln anspannen, die eigentlich ruhig und locker bleiben sollten; wieder versuche ich es. Keine Wirkung. Was ist geschehen? Seit meiner frühen Jugend, seit Charles mein Menschenwesen war, konnte ich mit meinem Willen lebende Wesen zu mir locken, und das mit der gleichen Leichtigkeit, als streckte ich einfach den Arm aus und nähme sie mit meiner Hand. Ich erinnere mich an den Vorfall vor wenigen Tagen, als Barry es schaffte, eben diese Kraft heraufzubeschwören, um auf der Bank Geld zu holen, um, wie er es nennt, ›ein Darlehen aufzunehmen‹. Und heute Abend gelingt mir das nicht. Das Karnickel bleibt dreißig Meter entfernt, meinen Willensanstrengungen gegenüber völlig unempfindlich. Das macht mich zornig, und ich spüre, wie meine Wut anschwillt. Jetzt würde es ganz gewiß zu mir kommen. Nein. Ich weiß nicht mehr, wie es geht. Ich versuche, meinen Willen mit der Macht meines Denkens zu aktivieren, um andere Lebewesen anzulocken, aber ich kann mich plötzlich überhaupt nicht mehr erinnern, wie das vor sich gehen soll. Es ist so, als hätte ich diese Fähigkeit nie besessen. Mit dümmlich hängender Zunge setze ich mich nieder. Ich könnte ebensogut ein Hund sein – oder ein Mensch.
    Doch jetzt mache ich mir Sorgen um das kleine Mädchen. Es ist vielleicht das erste Mal, daß ich nach einem anderen Wesen Sehnsucht habe. Ich blicke zur rötlich schimmernden Scheibe des verbleichenden Mondes auf, der tief im Westen hängt, und bilde mir ein, die kleine Mina sprechen zu hören. Verblüfft halte ich den Atem an, um zu lauschen. Die Stimme ist in mir, in meinem Geist. Ich lasse tiefe Stille in mich einziehen, lösche alle Gedanken und Wahrnehmungen aus, mache mein Bewußtsein zu einem leeren und aufnahmefähigen Raum, der gegen alle Störungen von außen abgeschirmt ist. So still und reglos ist alles in mir, daß ich beinahe das Gefühl habe, mich in einen Stein verwandelt zu haben. Aus weiter Ferne dringt schwach wie sanfter Flügelschlag der Hauch einer Stimme, bildet eine filigranzarte Kette von Worten in einer weiten Wüste. Ich bleibe ganz still und lausche.
    »Mir gefällt es hier nicht«, sagt die spinnwebfeine Stimme, endlich Worte formend.
    Ich bleibe starr wie ein Stein. Dann bildet sich eine Frage. ›Mina? Wo bist du?‹
    »Hier ist kein Kind, mit dem ich spielen kann … Papa ist so böse …«
    Wieder die Frage, die im Raum aufsteigt: ›Mina, wo bist du?‹
    »Viele hohe Bäume«, haucht die ätherische Stimme.
    Ich denke sehr langsam, während ich versuche, eine Frage zu formulieren, die mir klare Auskunft geben wird. Ihre Stimme ist so zart und dünn, klingt so verloren durch das weite Nichts, daß ich fürchte, sie wird bald vergehen.
    ›Wie lange seid ihr gefahren, um dort hinzukommen?‹
    Schweigen.
    Ich frage wieder, ganz langsam.
    »Den ganzen Tag und … So staubig … So holprig … Bruno verloren.«
    Die Stimme wird noch blasser. Bruno ist der Teddybär. Den ganzen Tag, und es war holprig und staubig, so holprig, daß sie den Teddybären verlor?
    ›Bleibt ihr dort, wo ihr jetzt seid, Mina, oder fahrt ihr morgen schon weiter?‹
    Doch sie ist fort. Immer wieder rufe ich sie und bitte sie, zurückzukehren, doch der leere Raum in meinem Inneren ist jetzt völlig leer, so still wie das Innere

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