Werwelt 03 - Der Nachkomme
sagen mir nichts, als daß dort vorn ein Bruch in der Felswand klafft; es ist eine der alten verfallenen Behausungen, in denen vor Hunderten von Jahren die Leute lebten, die vor den Nav a jos hier waren.
Ich wage noch einen Schritt vorwärts. Blindes Entsetzen packt mich. Ich bin wie gelähmt, kann kaum meinen Geist so weit sammeln, um aus dieser Zone der Angst zurüc k zuspringen. Ich mühe mich, eine Erinnerung an dieses G e fühl zu wecken, und schließlich taucht sie empor. Sie ist mehr als ein Jahr alt. Bei dem Kampf mit der Bauersfrau, Tante Cat, der Mutter von Barrys Frau, wurde ich von demselben Gefühl überkommen. Es wurde durch das Am u lett ausgelöst, das sie an sich trug und in dem kurzen Handgemenge mit dem Wächter verlor, als sie versuchte, mich zu töten. Ich erinnere mich, im Schutz der dunklen Bäume auf sie gewartet zu haben, während sie sich hera n pirschte, die Flinte schußbereit. Voller Selbstvertrauen wartete ich, überzeugt, ich könnte sie zwingen, die Waffe niederzulegen. Doch als sie dann näher herankam, erwac h te diese grauenhafte Furcht, die meine Muskeln schlottern machte, mein Fleisch über meinen Willen siegen ließ, so daß ich mich gelähmt von Entsetzen vor ihr niederlegte. Das Am u lett besaß diese Macht, woher auch immer sie stammte, was auch immer sie für mich bedeutete. Und jetzt spüre ich diese Macht hier. Doch die Angst ist gekoppelt mit einem perversen Trieb, vorwärts zu gehen, hinein in dieses En t setzen, dem Schrecklichsten nachzugeben, dem Schrec k lichsten, das wie mein eigener Tod ist.
Noch einen Schritt weiche ich im dunklen Sand zurück, höre ihn unter meinen Füßen knirschen, höre den Nach t wind, der die Blätter der Weiden zum Sprechen bringt, so daß sie die Nacht mit unverständlichen Worten füllen, den Worten der Bäume. Ist da nicht noch ein anderes Geräusch, ein kaum gehörtes Geräusch, wie von fernen Mensche n stimmen, die in einer anderen Sprache sprechen, so leise, daß ich meine, mich zu täuschen, daß dies gar kein G e räusch von außerhalb ist, sondern das Pulsen meines eig e nen Bluts in meinen Adern? Wieder wage ich einen Schritt nach vorn, höre die Sandkörner knirschen. Die Angst krallt sich um mein Herz wie eine Klaue, die zuzudrücken droht, aber es noch nicht tut. Ich muß noch einen Schritt machen, ob ich will oder nicht. Die Klaue packt mein Herz, und ich weiß, wenn ich nur noch einen weiteren Schritt wage, we r de ich sterben.
Jetzt jedoch wird das Geräusch, dieses unterschwellige Vibrieren, das zuvor so schwach war, deutlicher, und es könnten wirklich Stimmen sein. Ich könnte vielleicht die Worte erkennen, wenn ich nur näher heran könnte. Noch einen Schritt will ich machen, nur noch einen. Ich wage ihn. Die Geräusche rundum werden laut; Sand knirscht, der Wind heult in den Weiden, Wasser tost über die Felsen hinter mir, eine Schlange donnert durch das Gras und der Klang der Stimmen schwillt zu einem rasenden Chor an, zu einem Geheul von Verwünschungen, die von allen Seiten auf mich einstürmen, so daß es mich Anstrengung kostet, mich zu sammeln, um mir zu überlegen, wo der Weg z u rück ist. Völlig verzerrt sind Zeit und Raum in dieser Fo l terqual von Geräuschen. Mein Herz scheint mitten im Schlag ausgesetzt zu haben, mein Atem verloren zu sein. Es ist, als hätte ich mich in Stein gewandelt. Ich will schreien und habe keine Sti m me, doch mein Geist zerrt an den Muskeln meiner Beine in einem letzten Versuch u m zukehren. Ich torkle nach rückwärts, heraus aus dem B e reich di e ser fremden Kraft. Verrenkt liege ich im Sand und vers u che fortzukriechen. Und während ich krieche, werden die Geräusche weniger schmerzhaft, die Stimmen verkli n gen, werden wieder zum Flüstern der Weidenblätter, zum san f ten Plätschern des Wassers, zum Säuseln des Windes im Gras. Ich hole tief Atem und heule auf wie eine Katze, die man mit Feuer übergossen hat, wie ein Bär, der von der Höhe einer Fel s wand springt, zitternd vor der Nähe des Todes.
Einige Zeit später fasse ich mich langsam wieder. Ich liege ausgestreckt im Sand, die Schnauze im Wasser, ke u chend, als hätte ich einen langen anstrengenden Lauf hinter mir. Ich habe, geht es mir durch den Kopf, in dieser Nots i tuation vergessen, meinen Verstand zu gebrauchen. Dort, wo ich nicht hingehen kann, kann Barry hingehen. Doch im letzten Moment, gerade als ich mich verwandeln will, eri n nere ich mich Barrys bedrohlicher Gedanken über sein Weiterleben in
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