Werwelt 03 - Der Nachkomme
kann ich im Grunde nichts. Ich versuch ’ s natü r lich, aber so eine tolle Sprachbegabung hab ’ ich auch wi e der nicht.«
Der Sheriff befand sich nicht auf seiner Dienststelle, und sein Vertreter sagte, die ganze Truppe, etwa ein halbes Dutzend Leute, wäre unterwegs, um Chee zu suchen. »Sie sind alle oben im del Muerto«, sagte der Hilfssheriff.
»Wo ist denn das?« fragte Barry, als sie zur Tankstelle zurückgingen, wo sein Wagen wartete.
»Na, da, wo Sie gerade hergekommen sind«, antwortete Beaumont. »Wenn Sie bei den Chees gewohnt haben.«
»Ich dachte, das wäre der Canyon de Chelly«, versetzte Barry. »So hat Johnny ihn jedenfalls genannt.«
»Ja, wissen Sie, eigentlich sind es drei Canyons«, b e lehrte ihn Beaumont. Drei Finger ausgestreckt hob er die Hand. »Der links ist der Canyon del Muerto, der in der Mitte ist der de Chelly und der hier auf der rechten Seite ist der Monument Canyon.« Aus irgendeinem Grund lächelte er, als er hinzufügte: »Sie laufen zu einer Art Pfeilspitze zusammen, die nach Arizona weist.«
»Der Canyon des Todes?«
»Genau. Ein passender Name. Im letzten Jahrhundert hat da oben ein gräßliches Gemetzel stattgefunden. Ungefähr hundert Indianer, größtenteils Frauen und Kinder, die sich da in einer Höhle verkrochen hatten. Die Spanier brachten sie alle um, bis auf einen alten Mann, der die Geschichte dann erzählt hat. Die Höhle ist nicht weit von dem Ort, wo die Chees wohnen, wenn ich mich recht erinnere.«
»Sie kennen sich offenbar gut im Canyon aus«, stellte Barry fest, als sie in den Model A stiegen.
»Ich bin erst ungefähr zwei Monate hier, aber ich ziehe dauernd herum. Ja, der Canyon ist so groß, daß kein Mensch ihn richtig kennt, nicht einmal die Leute, die hier geboren sind. Aber ich hab ’ jetzt schon ein grobes Bild von der Gegend und von den Leuten.«
Sie unterhielten sich, während sie die zwanzig Meilen am Rand der Schlucht zurückfuhren, und als sie zu dem Pfad gelangten, der ins Tal hinunterführte, hatten sie e i nander etwa so gut kennengelernt, als wären sie Nachbarn in einer Kleinstadt gewesen. In jedem wohnte trotzdem ein Geheimnis, das der andere anerkannte. Es schien Barry, er hätte da einen Menschen kennengelernt, der seine Ansicht vom Leben und von der Welt teilte. Nachdem sie in den Canyon hinuntergeblickt und dort unten, so weit sie sehen konnten, keinerlei ungewöhnliche Aktivitäten entdeckt ha t ten, marschierten sie hintereinander den Pfad hinunter.
»He«, sagte Barry, »da oben waren gar keine anderen Autos.
Wenn der Sheriff hier herausgekommen ist, wäre er da nicht mit dem Auto gefahren?«
»Das bezweifle ich«, erwiderte Beaumont. »Wah r scheinlich reiten sie auf Pferden das Chinle Bachbett h i nauf und suchen Alberts Spur. Da können sie noch gar nicht bis hierher gekommen sein. Vielleicht haben sie ihn schon irgendwo bachabwärts erwischt. Er war doch auch zu Pferd, oder nicht?«
»Ja, vermutlich.«
Barry nahm kaum Notiz von der Schönheit des Pfades oder der Schlucht, deren Ostwände sich jetzt im Aben d sonnenschein wieder goldrot färbten. Seine Gedanken wa r en bei der Familie Chee und ihrem Unglück.
Er sah sich in der unerfreulichen Lage, der Familie die schlimme Nachricht beibringen zu müssen. Im Lager nä m lich hatte noch niemand etwas aus Chinle gehört, und A l bert war offensichtlich seit dem Morgen nicht zurückg e kehrt. Er bemühte sich, Mrs. Chee begreiflich zu machen, was geschehen war, und auch Beaumont versuchte es, doch es gelang ihnen nicht. Am Ende glaubte sie, Albert wäre tot. Sie schickte eine der Töchter zum festen Lager hinauf, um Johnny zu holen. Ihr Gesicht war eingefallen und elend. Es war offensichtlich, daß sie nichts glauben wollte, sola n ge sie es nicht in ihrer eigenen Sprache gehört hatte. Als Johnny am Bach entlanggelaufen kam, war klar, daß er von dem kleinen Mädchen schon erfahren hatte, was los war. Fragend sah er Barry an.
»Ist es wahr?« stieß er keuchend hervor, den Hut in der Hand. »Mein Onkel hat einen Menschen getötet?«
»Das wurde jedenfalls in Chinle behauptet«, erwiderte Barry, der intensiv den Schmerz seines Freundes spürte.
Johnny legte den Arm um seine › Mutter ‹ und führte sie in die Hütte, während er leise auf Navajo mit ihr sprach. Wenig später hörten die Männer, die draußen warteten, wie die Stimme der Frau in schmerzlicher Klage anschwoll, in einem Wehgeschrei, das sich zum Crescendo steigerte , dann abfiel, nur um mit dem
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