Westwind aus Kasachstan
nicht mit Sliwka am See. Und ich bin auch nicht ohne ihn zurückgekommen.«
Curlis stand auf, versteckte die Pistole wieder im doppelten Boden des Koffers und steckte sich eine Zigarette an. »Manchmal glaube ich«, sagte er, »man könnte aus unserem Offizierskorps eine große Orgel bauen – lauter Pfeifen! Du wärst die Pikkoloflöte.«
»Das ist der typische Galgenhumor.«
»Warum macht ihr euch überhaupt Gedanken um einen Mann, der eine echter Widerling war?«
»Ob Widerling oder Gentleman, Mord bleibt Mord.«
»Du hast eine philosophische Begabung.« Curlis setzte sich wieder vor den Fernseher. »Ich gebe dir mein Ehrenwort: Ich habe Sliwka nicht ermordet. Genügt dir das endlich?«
»Dein Ehrenwort?«
»Ja.«
Ich kann es ohne Gewissensqualen geben, dachte Curlis. Es ist keine feige Lüge. Ich mußte Sliwka töten aus Notwehr. Die äußeren Umstände spielen da keine Rolle. Er hat zuerst auf mich angelegt. Ich war nur schneller, und ich bin der bessere Schütze. Nur einen Fehler habe ich gemacht: Ich hätte aus Sliwkas Pistole einen Schuß abfeuern sollen. Oder zwei. Das hätte nach Kampf ausgesehen. Aber was soll's. Kein Mensch ist vollkommen. Ich gebe es zu: Eine unbenutzte Pistole ist kein gutes Argument.
»Wenn sich nun aber herausstellt, daß es amerikanische Munition ist?« hakte Campell nach.
»Dann muß es einen schwarzen Markt in Kasachstan geben, auf dem sich die Rebellen bedienen. Der Waffenschmuggel ist international. Das haben wir beim Golfkrieg gesehen. Die Iraker hatten Waffen aller Systeme aus den verschiedensten Ländern. Ironie des Schicksals: sogar israelische Waffen! Warum soll eine Smith & Wesson nicht auch in Kasachstan landen? So absurd ist das nicht.«
»Und warum hast du deine Pistole gereinigt?«
»Waffenpflege ist das erste Gebot des Soldaten. Das hast du doch auch gelernt. So wie man eine Frau verwöhnt, will auch eine Waffe behandelt werden. Ich habe Emmy lange nicht geölt.«
»Du nennst die Smith & Wesson Emmy?«
»Warum nicht?«
»Ich wußte bis heute nicht, daß du verrückt bist.«
»Die Waffe ist die Braut des Soldaten. Aber Emmy ist mehr als das. Sie hat mir viermal das Leben gerettet.«
»Gestern auch –«
»Jimmy, du sitzt verkehrt rum auf dem Pferd. Halt den Mund und sieh dir das russische Ballett an.« Curlis zeigte auf den Bildschirm. »Eins muß man zugeben: In Rußland gibt es verdammt hübsche Weiber.«
Für Campell begann Curlis unheimlich zu werden.
Nach drei Tagen kam in Helsinki die Nachricht aus Moskau, daß man den aufgeflogenen Agenten abholen würde. General Dubrowin rief Denissow an und sagte:
»Morgen landet eine Kuriermaschine in Helsinki. Bereiten Sie Köllner auf den Flug vor. Da die Kuriermaschine diplomatischen Status besitzt, wird sie nicht kontrolliert. Aber zur Sicherheit stecken Sie Köllner in eine Uniform.«
»Welcher Dienstgrad?« fragte Denissow spöttisch zurück.
»Von mir aus General!« Dubrowin lachte dröhnend.
»Meine Uniform paßt Köllner nicht. Ich bin in den Schultern breiter als er. Ich werde ihn zum Feldwebel machen.«
»Wie benimmt er sich?«
»Gesittet. Er ist ja ein gebildeter Mensch. Er liest, schläft viel, hat das kleine Wunder vollbracht, einmal gegen den Schachcomputer zu gewinnen, und besteht darauf, mit der deutschen Botschaft zu sprechen.«
»Abgelehnt.«
»Das habe ich ihm auch gesagt. Aber er pocht auf das Völkerrecht.«
»Lassen Sie ihn pochen wie ein Specht, Jakob Mironowitsch. Er befindet sich in der Lage, keine Rechte mehr zu haben. Wenn wir ihn in Rußland aufnehmen, dann nur deshalb, weil er uns früher wertvolles Material geliefert hat. Keiner soll sagen, wir wären undankbar.«
»Behalten Sie Köllner in Moskau?«
»Nein. Wie schicken ihn weiter nach Kasachstan. Zu seiner Tante.«
»Aber vorher will er noch das Grab von Onkel Frantzenow sehen.«
»Ich weiß. Wir werden ihn davon abbringen!« Dubrowin machte eine Sprechpause, die Denissow damit ausfüllte, einen Schluck Tee zu trinken. »Er wird sowieso bald die Wahrheit erfahren.«
»Inwiefern?«
»Professor Frantzenow lebt.«
Denissow verschluckte sich und hustete ins Telefon. »Sagen Sie das noch mal. Er lebt?«
»Beruhigen Sie sich, Jakob Mironowitsch. Jetzt, wo wir Tür und Tor öffnen, um der Welt zu zeigen, wie brav wir Russen sind, ist auch Frantzenow wieder zum Leben erwacht. Er ist ein fabelhaftes Vorzeigeobjekt: Seht, so hat die Sowjetregierung einen der größten Wissenschaftler behandelt, aber diese Ära der
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