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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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würde sein, wenn Wolfgang plötzlich krank würde?« fragte er.
    »Wolferl war nie krank.«
    »Ich sage: Wir nehmen es mal an.«
    »Ich würde versuchen, seine Arbeit auch noch zu machen. Einen Teil davon.«
    »Und wenn das nicht geht?«
    »Es muß gehen.«
    »Es könnte – immer theoretisch – sein, daß du ihn pflegen mußt. Tag und Nacht. Daß er dich immer braucht, daß du immer um ihn sein mußt, daß er ohne dich hilflos ist …«
    »Eine solche Krankheit wird er nie bekommen. Gibt es überhaupt so eine Krankheit? Wo ein Mensch nichts mehr tun kann?« Sie sah Heinrichinsky fragend an und schien angestrengt nachzudenken. »Vielleicht Krebs? Das fällt weg, dafür lebt Wolferl zu gesund. Was gibt es sonst noch? Ja, diese unbekannte Krankheit, die keiner heilen kann. Einen lateinischen Namen hat sie …«
    »Multiple Sklerose.«
    »Das ist es.« Sie dachte weiter nach. Ihr Gesicht erhellte sich plötzlich. »Da ist noch was, aber das ist keine Krankheit. Das ist ein Unfall. Die Menschen im Rollstuhl. Die Gelähmten. Die Querschnittgelähmten.«
    »Das ist es, Erna.« Heinrichinsky atmete tief durch. »Wenn Wolfgang so gelähmt wäre, daß er gar nichts mehr tun kann.«
    »Das würde er nicht ertragen.« Sie blickte über den Gemüsegarten und hinüber zu den Blumenrabatten. »Er würde sich das Leben nehmen.«
    »Das kann er nicht. Er kann sich ja nicht rühren.«
    »Dann würde er zu mir sagen: Erna, nimm die Axt und schlag mir den Schädel ein. Oder: Vergifte mich. Aber ich habe kein Gift.«
    »Das könntest du tun?« fragte Heinrichinsky betroffen.
    »Wenn er mich darum bittet.«
    »Das wäre Mord, Erna!«
    »Nein, das wäre Erlösung.«
    »Nur Gott kann erlösen.«
    »Wenn Gott zuläßt, daß ein Mensch so darnieder liegt, muß der Mensch Gott mahnen, gnädig zu sein.« Sie rieb ihre Hände wieder an der Schürze, die letzten Erdkrusten fielen ab. »Du hast noch nie so merkwürdig gesprochen, Peter Georgowitsch. Ich mag solche Gespräche nicht. Verzeihung. Willst du jetzt ein Glas Beerenwein?«
    »Ich bin aus Ust-Kamenogorsk angerufen worden.«
    »Wolferl hat angerufen?« Sie sprang auf. Über ihr Gesicht zogen Freude und Glück. Heinrichinsky nagte an der Unterlippe und blickte weg. Es war unerträglich. »Was hat er gesagt? Hat er meinen Bruder gefunden? Wann kommt er zurück? So sag doch was, Peter Georgowitsch …«
    »Wolfgang liegt im Krankenhaus«, antwortete Heinrichinsky dumpf.
    »Im … im Krankenhaus?« Ihre Augen wurden weit und plötzlich leer. »Wolferl liegt …« Und plötzlich, als habe ein Blitz sie getroffen und auf die Erde geworfen, so unfaßbar war der Schmerz, sagte sie ganz leise: »Er … er ist gelähmt …«
    »Ja, Erna.«
    »Ein Gehirnschlag?«
    »Nein, ein Schuß in den Rücken. In die Wirbelsäule.«
    Erna setzte sich wieder auf die Bank und legte die Hände in den Schoß. Sie fragte nicht weiter, sie begriff einfach nicht, was das bedeutete: Ein Schuß. Sie wußte nur eins, Wolferl ist gelähmt. Er liegt im Krankenhaus und kann sich nicht rühren. Er wird nie wieder laufen können, nie mehr auf einem Traktor sitzen, nie wieder über die Felder und die Weiden reiten, nie mehr in seiner Heimattracht beim Dorffest unter der Linde tanzen. Er wird wie ein Stück Holz daliegen und warten, bis Gott ihn erlöst.
    Sie weinte nicht – sie versteinerte. Wie Heinrichinsky es geahnt hatte: Sie hatte die Kraft, auch diesen Schlag hinzunehmen und stehen zu bleiben.
    Er wagte nicht, sie jetzt anzusprechen. Er blickte wie sie in den Garten, hatte die Hände gefaltet und kam sich elend vor, daß er nichts tun konnte.
    Ganz langsam wandte Erna den Kopf zu ihm und sah ihn schweigend an. Er hielt diesem ins Unendliche gehenden Blick stand, aber er hatte Mühe, gleichmäßig zu atmen. Endlich fragte sie:
    »Wie sagen wir es den Kindern?«
    »Die Kinder sind erwachsene Menschen.«
    »Aber sie bleiben die Kinder. Am schlimmsten wird es für Eva sein.« Sie verkrampfte die Finger in ihrem Schoß, das einzige Zeichen ihrer inneren Erregung und Verzweiflung. »Was kann ich jetzt tun, Peter Georgowitsch? Beten? Hilft Beten?«
    »Wir können beten, daß er alles gut übersteht.«
    »Was soll nun werden, Peter Georgowitsch?«
    »Zunächst fahren wir alle nach Ust-Kamenogorsk.«
    »Du auch?«
    »Das fragst du noch? Wolfgang wird sich freuen, wenn wir alle an seinem Bett stehen.«
    »Erkennt er uns denn?«
    »Ich glaube ja.«
    »Und kann er sprechen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Hat er Andrej

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