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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gegen die Wand des Tankstellenhäuschens.
    »Verhalte dich ruhig«, sagte er. »Hörst du … ganz still. Ich möchte dir ungern erst das eine und dann das andere Auge ausschlagen. Was willst du ohne Augen tun? Habe Mitleid mit dir selbst.«
    »Räuber!« schrie der Tankwart. Er war sonst ein mutiger Mann, aber der Schlag auf das Kinn hatte ihn weich gemacht. Mühsam war es zu stehen, schon ganz unmöglich, die Fäuste zu heben. »Diebe! Verbrecher! KGB-Schlächter!«
    An dem blubbernden Benzinschlauch zuckte Kiwrin zusammen. KGB – das war ein Wort zuviel. Ein Wort zudem, das Kiwrin nie hatte leiden können.
    »Schlag ihm den Schädel ein, Gottlieb!« rief er. »Oder komm her, halt den Schlauch, dann tu' ich es!« Er blickte wild um sich. »Die Frauen zurück in den Bus! Die Augen zu! Jetzt wird ein Idiot kastriert!«
    Gottlieb hielt den Tankwart fest im Griff, bis Kiwrin den Tank gefüllt hatte. Erst als er den Zapfstutzen wieder in die Säule hakte, ließ Gottlieb den Mann los und stieß ihn von sich. Er blickte auf die Anzeige, wandte sich zu seiner Mutter um und sagte, die Hand ausstreckend: »Mutter, ich brauche Geld.«
    Bis auf die Kopeke genau bezahlte er die Benzinrechnung und gab dein Tankwart noch eine kräftige Ohrfeige, als dieser sich vor ihm duckte und ihn in ohnmächtiger Wut anspuckte.
    »Einsteigen!« rief Kiwrin. »Ende der Vorstellung.«
    Es war ein Irrtum. Es war nur eine Pause.
    Im Bus sagte Erna tadelnd: »Junge, war das nötig? So brutal.«
    »Wir hätten sonst nie Benzin bekommen, Mama.«
    »Wo hast du das gelernt … so zuzuschlagen?«
    »Von Vater.«
    »Nie! Lüg nicht, Gottlieb. Dein Vater hat nie einen Menschen geschlagen.«
    »Weil es keiner wagte, ihn anzugreifen. Aber er hat zu uns gesagt – auch zu Hermann, stimmt das, Bruder? – und wir mußten es ihm versprechen: ›Laßt euch nichts gefallen. Wehrt euch. Auch wenn der andere stärker ist, geht in Ehren unter. Lauft nie weg! Ein Weberowsky flüchtet nicht!‹ Und dann mußten wir boxen. In der Scheune hatte er einen Sack mit Getreide aufgehängt, gegen den mußten wir schlagen. Aber nicht nur Getreide war in dem Sack. Vater hatte die Körner mit Steinen vermischt, und wenn man gegen so einen Stein boxt, dann geht ein Zittern durch den ganzen Körper. Ich wollte aufhören, aber Vater stieß mir die Faust in den Rücken und rief: ›Du willst aufhören? Wegen eines Steinchens? Bist du eine Memme oder mein Sohn? Zeig es dem Steinchen, daß es dich nicht besiegen kann!‹ Und ich habe weitergeboxt.«
    »Das … das hat Vater mit euch getan?« Ihre Stimme schwankte. »Warum habt ihr mir nie davon erzählt?«
    »Das wäre Feigheit gewesen, Mama.« Hermann dachte an diese Zeit zurück und empfand keinerlei Groll gegen seinen Vater. »Diese Methode hat mir nachher auf der Ingenieurschule sehr geholfen. Dort habe ich in der Boxstaffel geboxt, und ich habe Gegner besiegt, die stärker waren als ich. Du bist der Stein, habe ich bei jedem Hieb gedacht: Du bist der verdammte Stein! Der Stein! Der Stein! Und jeder Hieb machte mich mutiger und meinen Gegner kleiner. Ich habe beim Boxen fast immer gesiegt.«
    »Wie konnte euer Vater euch nur so etwas beibringen …«
    »Er hat es uns erzählt, Mutter. ›Das war so‹, hat er gesagt, ›damals, 1942, als man uns gerade von der Wolga vertrieben und in Kasachstan angesiedelt hatte. Ich war noch klein, und Vater – euer Großvater Anton – baute hier in Nowo Grodnow unser erstes Holzhaus. Eine Hütte mehr, aber wir wollten raus dem Zelt, und auch in keine Baracke wollten wir, und Mutter sagte: Nehmt doch einfach Pfähle und schlagt als Dach Bretter darauf, das genügt. Ich will nicht einen zweiten Winter erleben, in dem ich nur herumlaufen kann, wenn ich zwei Decken über mich ziehe. Wir bauten also diesen Stall, mehr war es nicht, und als er fast fertig war, es fehlte nur noch die Tür, weil Vater auf der Suche nach Scharnieren war, da kam in einem Wägelchen Gennadi Witaliwitsch Kubassow, rief Brrr!, hielt die Gäule an und sprang auf die Erde. Kubassow war damals ein großer Mann, ein gefürchteter Mann, der Stalin sogar einmal die Hand gedrückt hatte. Davon erzählte er immer und jedem und schwärmte: Diese schwarzen Augen werde ich nie vergessen! Welch ein Adlerblick! Er zwingt einen in die Knie, wie ein gekrümmter Wurm kommt man sich vor. Dieser Händedruck von Stalin – den keiner kontrollieren konnte – war der Beginn von Kubassows Karriere. Rasend schnell stieg er auf. Vom dritten

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