Westwind aus Kasachstan
Wodka.«
Es waren nur neun Tankstellen, aber auch das genügte.
Durch diese Verzögerungen war es unmöglich, an einem Tag bis Ust-Kamenogorsk zu kommen. Kiwrin schlug vor, bis zu der kleinen Stadt Kajnar zu fahren und dort zu übernachten.
Er hätte es lieber nicht tun sollen – aber wer weiß das im voraus?
Kajnar, zwischen Karaganda und Semipalatinsk, ist eine typisch kasachische Stadt, in der man noch einen Hauch der Tatarenhorden spürt. Auch die mongolischen Reitervölker hatten Spuren hinterlassen … trotz der vergangenen Jahrhunderte sah man mehr asiatische Gesichter als Kasachen.
Es gab nur ein Hotel in Kajnar, und das war natürlich belegt, als Kiwrin seinen Bus am Abend vor dem Haus bremste.
»Ich brauche fünf Zimmer!« sagte er zu einem mürrischen Mann, der aus der Tür trat. Es mochte der Nachtwächter sein. Der Mann nickte und antwortete, noch mürrischer: »In zwei Jahren.«
»Ein Verrückter!« rief Kiwrin in den Bus. »Und so einer bedient in einem Hotel! Was sind denn das für Zustände?« Er wandte sich wieder dem Portier zu, der aus der Tasche einen Pinienkern holte und ihn knackte. »Hast du Trottel zwei Jahre gesagt?«
»Bis dahin ist der Anbau fertig. Soll er fertig sein. Baumaterial ist knapp. Kommt Sand, gibt es keinen Zement. Kommt Zement, ist die Mischmaschine kaputt. Läuft die Mischmaschine wieder, ist der Zement geklaut. Wie soll man da effektiv arbeiten?«
»Es ist kein Zimmer frei?« rief Kiwrin ungeduldig.
»Wir haben schon unsere zwei Badezimmer vermietet. Wir sind voll, bis in den letzten Winkel belegt.«
»Wo kann man sonst übernachten?«
»Nur privat. Geh von Haus zu Haus. Du wirst schon was finden. Hast du Devisen? Dollar, Deutsche Mark, Schweizer Franken?«
»Ich bin Russe!«
»Schlecht. Sehr schlecht. Nur Rubel? Was machen wir mit Rubel? Unsere Gäste zahlen in Devisen … nur die nicht, die im Badezimmer schlafen.«
Damit drehte er sich um und ging in das Hotel zurück. Kiwrin kletterte wieder in den Bus.
»Ihr habt's gehört?« fragte er. »Alles besetzt! Aber wer glaubt ihm? Nicht arbeiten wollen sie, das allein ist es. Kochen, bedienen, Zimmer putzen, Wäsche waschen – alles zuviel für sie. Die Arbeitsmoral ist dahin! Ein Partisanenkampf der Reformgegner. So wollen sie diese boykottieren. Zerfall der Wirtschaft. Stille Sabotage. Lautloser Widerstand. Aber es wird ihnen nicht gelingen.«
Nachdem Kiwrin in zehn Häusern gefragt hatte und überall hörte, man vermiete nicht an Landstreicher, nach unendlichen erregten Diskussionen und gegenseitigen Beleidigungen fuhr er vor die Stadt auf einen gewalzten Platz und sagte resignierend:
»Ihr habt es gehört. Es ist unmöglich, hier ein Zimmer zu bekommen. Und wir brauchen fünf. Es gibt nur eins: Wir schlafen im Bus.«
»Es bleibt uns ja nichts anderes übrig.« Pfarrer Heinrichinsky sah sich um. Erna und Eva hatten die Köpfe aneinandergelegt und schliefen bereits. Gottlieb, müde von den Streitereien, lag über zwei Sitze hingestreckt. Hermann hatte Mühe mit seinen langen Beinen; als er sich hinlegen wollte, ragten sie in den Gang hinein.
»Kann man das Vehikel von innen abschließen?« fragte Heinrichinsky.
Kiwrin zuckte zusammen. »Beleidige nicht meinen Bus!« rief er empört. »Hat er bis jetzt nicht treu gedient? Bis nach Kajnar hat er euch gebracht, und er wird euch auch bis Ust-Kamenogorsk bringen! Er hat es nicht verdient, daß man so über ihn spricht.« Mit Kiwrin war nicht mehr zu reden. Bei jedem ihm nicht passenden Wort explodierte er; auf das Armaturenbrett hieb er mit den Fäusten, kratzte sich über das Gesicht und benahm sich wie ein eingesperrter Tiger. »Abschließen? Warum soll man den Bus abschließen?«
»Ich möchte in der Nacht nicht überfallen werden.«
»Wer überfällt hier? Sie leben unter gesitteten Menschen, Herr Pfarrer. Kasachstan ist kein Räubernest!« Dann beruhigte er sich und kontrollierte das Schloß in der Bustür. »Kaputt. Das heißt, es ist gar kein Schloß mehr drin. Geklaut haben sie es.«
»Kasachstan ist kein Räubernest«, wiederholte Heinrichinsky hämisch.
»Werden in Deutschland keine Autos aufgebrochen?« schrie Kiwrin außer sich. »Ich protestiere, daß wir Russen immer als Wilde angesehen werden! Wir hatten schon eine Kultur, da saßen die Germanen noch auf den Bäumen!«
»Laßt uns schlafen«, meinte Heinrichinsky versöhnlich. »Wir sollten morgen sehr früh losfahren, sonst erreichen wir Ust-Kamenogorsk erst übermorgen. Wer weiß,
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