Westwind aus Kasachstan
zu fahren?«
»Ich muß Benzin haben!« Kiwrin wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Wir fahren zu einem Sterbenden.«
»Bis du ankommst, ist er tot«, erwiderte der Tankwart gemütlich. »Spar das Benzin.«
Es war ein glücklicher Zufall, daß Kiwrin so vor dem Schnauzbärtigen stand, daß der die Tanksäule nicht sehen konnte. Hermann hatte das Schild gelesen, den Kopf geschüttelt und zu seiner Mutter gesagt:
»Mama, nun sei nicht wieder entsetzt. Denk daran, was Vater uns erzählt hat. Hier will uns einer betrügen, wir müssen uns wehren. Komm Brüderchen.«
Hermann und Gottlieb stiegen aus dem Bus. Gottlieb zeigte auf das handgemalte Schild. »Hermann, da ist nun wirklich nichts zu machen. Du kannst einem Nackten nicht in die Tasche greifen.«
»Glaubst du, was da steht?«
»Wenn er schreibt, er hat kein Benzin, dann …«
»Brüderchen, das weiß ich nun besser.« Er legte den Arm um Gottlieb. »Das ist ein alter Trick, damit täuscht man mich nicht mehr. Der Kerl will seine Ruhe haben. Wenn er sein Schläfchen beendet hat, ist auch das Schild weg. Geh zu Kiwrin und hilf ihm. Ich tanke unterdessen.«
Gottlieb war skeptisch und wartete ab, bis wirklich Benzin durch den Schlauch floß. »So ein Stinktier!« knurrte er dann. »Ich werde mich mit ihm unterhalten.«
»Gottlieb!«
»Ganz höflich, Bruder. Von Mann zu Mann.«
»Er kann stärker sein als du.«
»Denk an Vater, der Kubassow in die Waden gebissen hat.«
Der Tankwart blinzelte Gottlieb verschlafen an, als das Glöckchen über der Eingangstür bimmelte. Er schob seine Mütze zurück in den Nacken.
»Noch einer, der nicht lesen kann«, maulte er. »Sind heute nur Analphabeten unterwegs? Fahren Sie auch ein Modell 1951?«
»Ich gehöre zu dem Bus.«
»Mutig! Mutig!«
»Ich komme, um die Tankrechnung zu bezahlen. Hermann ist gleich fertig. Ich schätze, es werden 130 Liter sein.« Und als Kiwrin ihn entgeistert anstarrte, sagte er: »Tritt mal einen Schritt zur Seite, Michail Sergejewitsch.«
Kiwrin tat es, der Blick auf die Tanksäule war frei. Mit einem dumpfen Aufschrei schoß der Tankwart hoch. Er sah gerade noch, wie Hermann den Zapfhahn wieder einklinkte. Er wollte zur Tür hinausstürzen, aber Gottlieb hielt ihm sein Bein hin, und statt sich auf Hermann zu werfen, schoß der Mann fast waagerecht ins Freie. Er kam mit einem lauten Ächzen hoch und brüllte:
»Gib das Benzin sofort wieder her!«
»Wir haben es ehrlich bezahlt. Mein Bruder hat die Rubel in der Hand.«
»Ich scheiß' auf die Rubel! Wenn auf dem Schild steht, es gibt kein Benzin, dann gibt es keins!«
»Aber der Hahn lief.« Hermann rieb sich die Hände, nickte Gottlieb zu, der mit Kiwrin die Tankstelle verließ, und ballte sie zu Fäusten. »Du schläfst ja noch!« sagte er dabei. »Sollen wir dich wachklopfen?«
Der Tankwart war ein Hüne von Mensch. Man traute ihm zu, daß er Ölfässer wie Pakete herumtragen konnte. Aber die Erfahrung des alten Weberowsky bewahrheitete sich wieder. Wer Mut und Entschlossenheit zeigt, macht den Gegner nachdenklich und vorsichtig.
Der Schnauzbart beruhigte sich sichtlich. Einer vor mir, zwei hinter mir, das ist zuviel. Man muß wissen, wann man sich in Ehren zurückziehen kann.
»Laßt uns verhandeln«, sagte er. »Ich nehme die Rubel an und lasse euch das Benzin, aber versprecht mir, keinem zu sagen, daß ich Benzin habe. Das Schild bleibt hängen.«
»Einverstanden.« Gottlieb kam um ihn herum und drückte ihm das Geld in die Hände. Es waren Tatzen wie bei einem Bären. Gegen sie hätte Gottlieb keine Chancen gehabt. »134 Liter. Überzeug dich an der Uhr.«
»Ich glaube euch. Fahrt los, damit ich euch nicht mehr sehe. Mein Magen dreht sich rum bei eurem Anblick.«
»Ich bin Bezirkssekretär!« rief Kiwrin.
»Auch das noch.« Der Tankwart verdrehte die Augen. »Ein Bus-Saurier und ein toter Funktionär. Hier wimmelt es ja von Gespenstern.«
Hermann und Gottlieb hatten Mühe, den tobenden Kiwrin zum Bus zu schleppen. Erst als sie fuhren, beruhigte er sich. »Wir müssen die Nerven behalten, meine Lieben«, gab er ahnungsvoll von sich. »Wir werden sie noch brauchen. Wenn das so weitergeht, müssen wir noch an zehn Tankstellen halten. Das Benzin war immer schon ein Problem in Rußland, dabei stehen wir in der Erdölförderung an erster Stelle in der Welt. Die arabischen Staaten sind gegen uns Zwerge. Wir fragen uns alle: Wo bleibt bloß das Benzin? Auch darum sollte sich Gorbatschow mal kümmern und nicht um den
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