Westwind aus Kasachstan
Buchhalter in einer Ziegelei bis zum Natschalnik der Baubehörde von Atbasar. Er war klein, aber kräftig, und wenn er brüllte, zitterte das Trommelfell. Kubassow springt also vom Wagen, kommt auf meinen Vater zu und schreit ihn an: Du baust ein Haus? Wer hat dir die Genehmigung gegeben? Woher hast du das Holz? Gestohlen, was? Und Vater hat ganz ruhig geantwortet: Nein, Genosse Kubassow, mein Nachbar hat ein Stück Wald zugeteilt bekommen, da haben wir einige zu dicht stehende Bäume gefällt. – Bäume fällt er! hat da Kubassow gebrüllt. Bäume! Ohne Genehmigung! Geht einfach in den wertvollen Wald und hackt sie um. Aber so sind die Deutschen! Alles zerstören. Jeder ein Faschist, das liegt ihnen im Blut! – Wie gesagt, es war 1942, und die deutsche Armee war schon tief in Rußland eingedrungen und marschierte auf Moskau zu. Man kann Kubassows Wut verstehen. Aber dann tat er etwas, was mich, den kleinen Jungen, sprachlos machte. Kubassow gab meinem Vater eine Ohrfeige. Nicht eine … nein drei. Dreimal hintereinander schlug er zu, und Vater stand da und wehrte sich nicht. In mir zerbrach etwas. Ein fremder Mann schlägt meinen Vater, schlägt ihm ins Gesicht, meinem großen Vater, meinem Vorbild, ihn, der für mich nach Gott kam … und er wehrte sich nicht. Da habe ich Kubassow angesprungen wie ein hungernder Wolf, hab' mit meinen kleinen Fäusten auf seine dicke Nase geschlagen, die sofort blutete, und als er mich packen und würgen wollte, habe ich mich fallen lassen und habe ihn ins Bein gebissen, immer und immer wieder, und er hat geschrien und um sich getreten. Er hat meinen Kopf getroffen, mir wurde schwindlig, aber ich habe weiter gebissen und habe erst aufgehört, als Vater in verzweifeltem Mut Kubassow die Faust auf den Kopf schlug. Dann warteten wir eine Woche lang, daß man Vater verhaften und mich in ein Partei-Erziehungsheim bringen würde. Wir hatten unsere Sachen, in zwei Säcke gestopft, zum Abmarsch bereit stehen. Aber niemand holte uns ab … und Kubassow ist nie wieder nach Nowo Grodnow gekommen. Da habe ich gelernt, daß nur der im Leben weiterkommt, der sich nicht duckt. Und ihr, meine Söhne, ihr Weberowskys werdet euch auch nie ducken!‹« Hermann holte tief Atem. »Das hat Vater uns erzählt, und wir werden es nie vergessen.«
Nach knapp hundert Kilometern raufte sich Kiwrin die Haare und hieb gegen das klappernde Armaturenbrett.
»Nein!« rief er. »Nicht schon wieder! Du altes Miststück! Seht euch das an, blickt auf die Benzinuhr. Könnt ihr das begreifen?! Schon fast wieder leer. Das Aas frißt nicht nur das Benzin, es muß es irgendwie ausspucken! Hoffentlich erreichen wir noch die nächste Tankstelle.«
Das Straßennetz in Kasachstan, an seiner Größe gemessen, ist zufriedenstellend, schon wegen des GULAG, den vielen Straflagern, die über das ganze Land verteilt, aber jetzt zum größten Teil geräumt waren, bis auf ein paar versteckte Lager, in denen Schwerverbrecher ihre Strafe abbüßten und umerzogen wurden. Man kam also überall hin. Nur, so schön die Straßen auch sein mochten, es gab zu wenig Tankstellen. Ohne Reservekanister durch Kasachstan zu fahren, ist ein kleines Abenteuer, und wenn alle Flüche zu Steinen würden, hätte man einen Turm zu Babel bauen können.
Kiwrin hatte Glück. Mit den letzten Tropfen Benzin erreichte er zwischen Golinograd und Karaganda, nicht weit von Temirtau, eine Tankstelle, die verstaubt vor sich hinträumte. Ein handgemaltes Plakat hing an der Tanksäule: Geschlossen. Kein Benzin. Nächste Tankstelle in Karaganda.
»Zum Teufel!« schrie Kiwrin. »Bis Karaganda komme ich nie!« Er sprang aus dem Bus, gab ihm zwei Fußtritte, fluchte unflätig und stapfte dann zu dem Haus. Auf einem Sofa lag ein Mann mit einem dicken Schnauzbart, eine rote Mütze mit Schirm in die Stirn gezogen und sah Kiwrin entgegen, ohne sich zu rühren.
»Hast du eine Schule besucht?« fragte er den verblüfften Kiwrin.
»Natürlich.«
»Dann mußt du Lesen verlernt haben. Draußen steht …«
»Ich brauche Benzin.«
»Ich auch.«
»Ich komme nicht mehr bis Karaganda.«
»In dem Bus da draußen?«
»Ja.«
»So ein Fossil fährt man auch nicht mehr! Da kannst du das Benzin gleich auf die Straße schütten. Oder setz eine Trennwand vor den hinteren Teil und baue ihn als Reservetank um. Wo willst du hin?«
»Nach Ust-Kamenogorsk.«
»Das wird ein fröhliches Springen von Tankstelle zu Tankstelle. Wie kann man es wagen mit so einem Fossil durch Kasachstan
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