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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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jetzt das wichtigste für ihn.«
    »Ich werde still sein.« Sie lehnte sich beim Gehen gegen Anissimow. »Ganz still.«
    Sie fuhren mit dem Lift zur Intensivstation, und als sie ausstiegen, umgab sie eine bedrückende Stille. Obwohl Schwestern und Pfleger hin und her gingen, zwei Ärzte ihnen zunickten, geschah das alles in einer Lautlosigkeit, als befinde man sich bereits in einer anderen Welt. Erna hatte noch nie ein Krankenhaus betreten. An der Wolga und in Nowo Grodnow hatte man bei einer Krankheit im Bett gelegen, und in diesem Bett starb man auch, so wie man in ihm geboren wurde.
    Sie preßte sich enger an Dr. Anissimow und hielt den Atem an, als er vor einer breiten Tür stehenblieb, auf die I/II gemalt war. Ein junger Arzt kam gerade heraus, die Bügel eines Stethoskops um den Nacken geklemmt.
    »Alles in Ordnung?« fragte Dr. Anissimow knapp. Der junge Arzt warf einen schnellen Blick auf Erna und nickte. »Das Magen-Ca. muß verlegt werden«, antwortete er halblaut.
    »Ich sehe ihn mir gleich an.« Verlegt werden heißt in diesem Fall: Hoffnungslos. Er liegt im Sterben. Und es war eine Marotte von Dr. Anissimow, niemanden auf der Intensivstation sterben zu lassen. Er wurde vorher in einen kleinen, leeren Raum gerollt. Die meisten merkten es gar nicht mehr, sie waren ohne Besinnung, und sie starben in nackter Einsamkeit, beobachtet von einer Schwester, die dann den Arzt rief. Es gab bei Dr. Anissimow mehrere solcher Zimmer, geradezu ein Luxus, denn in vielen Krankenhäusern wurden die Sterbenden in den Badezimmern abgestellt.
    »Weberowsky?« fragte der Chefchirurg.
    »Ist bei Bewußtsein.« Der junge Arzt zögerte. Anissimow verstand.
    »Dr. Koslow wird Ihnen jetzt einen sterilen Kittel, eine Haube und Gummischuhe geben«, sagte er zu Erna. »Das ziehen Sie alles an, und dann komme ich und bringe Sie zu Ihrem Mann.«
    Er verschwand hinter der breiten Tür. Dr. Koslow führte Erna in einen Raum, in dem mehrere weiße Kittel hingen und in einem Regal weiße Gummischuhe standen, und Dr. Koslow sagte: »Das muß sein, wegen der Infektionsgefahr.« Erna nickte und zog schweigend Kittel, Gummischuhe und Häubchen an.
    Und dann wartete sie, saß allein auf einem Plastikhocker. Dr. Koslow war gegangen, und sie dachte, wie es gleich sein würde, was sie zuerst sagen sollte, ob sie seine Hand nehmen oder ihm über das Gesicht streicheln sollte und ob sie überhaupt fähig war zu sprechen.
    Endlich ging die Tür auf, und Dr. Anissimow kam herein. Erna starrte ihn an und wagte nicht zu atmen.
    »Kommen Sie!« sagte Anissimow und hielt ihr seine Hand hin. »Er erwartet Sie.«
    Sie zog sich an seiner Hand hoch und lehnte sich dann gegen ihn. Nur für einen Augenblick kam Schwäche über sie, fühlte sie sich, als müsse sie in sich zusammensinken, aber dann straffte sie sich und trat einen Schritt zurück. »Verzeihen Sie«, sagte sie mit fester Stimme. »Es ist schon vorbei.«
    »Halten Sie sich ruhig an mir fest.« Dr. Anissimow hielt ihr wieder seine Hand hin. Sie schüttelte den Kopf und steckte die Hände in die Kitteltaschen, so wie sie es vorhin bei einer Ärztin auf dem Flur gesehen hatte.
    »Ich kann allein gehen. Sie haben Wolfgang gesagt, daß ich gekommen bin?«
    »Ja. Er soll sich nicht erschrecken, wenn Sie plötzlich an seinem Bett stehen. Jetzt ist er vorbereitet.«
    »Kann … kann er sprechen?«
    »Sie werden ihn verstehen. Sie bestimmt.«
    Sie gingen hinüber zu der großen, breiten Tür, und sie nahm gar nicht wahr, daß sie geöffnet wurde. Sie sah nur einen großen, lichten Raum, Bett an Bett, in dem die Patienten, nur zugedeckt mit einem weißen Tuch, lagen; sie sah die beweglichen, mit Stoff bespannten Trennwände, die tickenden, brummenden, blubbernden Geräte; sie hörte Stöhnen und Weinen, hinter einer der Stoffwände jammerte jemand: »Laßt mich sterben. Laßt mich doch sterben! Schwester, ich will sterben. Bitte, bitte …« Und starr, als sei sie ein Stück Holz mit Beinen, ging sie weiter, sah nicht nach rechts und links, blieb stehen, als sie die letzte Trennwand erreicht hatten. In der Wand sah sie eine große, breite Scheibe, aber niemand stand dahinter und blickte hindurch.
    Wo seid ihr, Hermann und Gottlieb, dachte sie verzweifelt. Warum laßt ihr mich jetzt allein? Warum steht ihr nicht am Fenster und seht zu? Ich brauche euch jetzt, ich brauche euch, ich weiß nicht, wie es hinter dieser Stoffwand aussieht, ob ich nicht umfalle, wenn ich ihn sehe.
    »Kommen Sie!« hörte sie Dr.

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