Westwind aus Kasachstan
Agentenmeldungen und die Berichte der Agentenführer im Bereich Mitteleuropa, vornehmlich Deutschland.
»Wie ist Ihr Name?« fragte er höflicher.
»Auch den möchte ich nur Herrn Denissow nennen.«
»Einen Augenblick.«
Der Angestellte hob das Telefon ab, wählte eine Hausnummer und sprach auf russisch ein paar Worte. Dabei nickte er mehrmals, sah den Besucher an, als beschreibe er ihn und legte dann auf.
»Herr Denissow ist zufällig frei. Kommen Sie mit mir.«
Auf dem Weg zu dem Büro fragte der Besucher: »Spricht Herr Denissow deutsch?«
»Sehr gut sogar. Er war ein paar Jahre in unserer Botschaft in Wien.«
»Das ist gut.«
Der Leutnant klopfte an eine Tür und schob den Besucher in ein großes Zimmer. Hinter einer umfangreichen Telefonanlage, einem kleinen Monitor und vor einem großen Bild von Lenin, das man trotz der neuen Politik nicht entfernt hatte, erhob sich ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit gestutztem blondem Bart, der wie ein übriggebliebener Wikinger aussah. Sein Anzug war etwas zu eng geworden und spannte über dem Bauch. Auch er musterte den Besucher und schien sich kein klares Bild machen zu können.
»Grüß Gott!« sagte der Besucher und ahmte einen wienerischen Tonfall nach. »Herr Denissow?«
»Sie kennen Wladimir Sergejewitsch Dubrowin?« Denissow ging auf den lockeren Ton nicht ein. Aber er sprach deutsch und tatsächlich mit einem Hauch Wiener Dialekt.
»Dem Namen nach.«
»Und sonst nicht?«
»Er ist – wie man so schön sagt – einer meiner Brötchengeber. Zur Zeit ist er mein einziger.«
»Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Karl Köllner –«
»Der Name sagt mir gar nichts.«
»Mein Deckname ist ›Helmut Haase‹, kurz HH oder, wenn man ganz präzise ist, die Nummer 7/12. Ich komme aus Bonn.«
Denissow war ehrlich verblüfft. Ein deutscher Agent des KGB meldete sich bei ihm in Helsinki. Das konnte nur Schlechtes bedeuten.
»Ich freue mich, Sie bei uns zu sehen«, erwiderte er zuvorkommend. »Oder sollte es keine Freude sein, Herr Köllner-Haase?«
»Ich glaube, es ist keine Freude. Ich bin auf der Flucht.«
»Man hat Sie enttarnt?«
»Ja, auf einen Wink hin konnte ich mich in letzter Minute absetzen. Im deutschen Außenministerium, wo ich bis jetzt arbeitete, habe ich noch zwei Sympathisanten. Es ist mir, wie Sie sehen, gelungen, bis nach Finnland durchzukommen. Aber jetzt brauche ich Ihre Hilfe.«
Denissow sah Köllner wieder forschend ins Gesicht, setzte sich und bot auch ihm einen Stuhl an. Ein enttarnter Agent ist immer ein Problem. Man weiß nie, auch wenn er flüchtig ist, wie dicht sich das Netz über ihm zusammengezogen hat und ob er observiert wird. Oder auch: Ist er wirklich ein Agent oder versucht er mit diesem Trick, sich in den KGB einzuschmuggeln! Das wäre plump und eigentlich nicht der Stil der deutschen Spionage.
»Wie können Sie beweisen, daß Sie Nummer 7/12 sind?« fragte Denissow.
»Rufen Sie Dubrowin an.«
»Er wird bestätigen, daß es Nummer 7/12 gibt. Natürlich. Aber ob Sie das sind?«
»Es liegt ein Foto von mir vor. Lassen Sie es sich durchfaxen. Ich warte gern. Ich habe Zeit, viel Zeit.«
»Und was wollen Sie von mir?«
»Die Benachrichtigung an Dubrowin, daß ich hier in Helsinki bin, und eine Flugkarte nach Moskau.«
»Wenn man Sie dort haben will. Sie waren unser Ohr im deutschen Außenministerium?«
»Auge und Ohr, wenn man es poetisch sieht.« Köllner ahnte langsam, daß sich alles anders entwickeln könnte, als er es sich gedacht hatte. Ein gejagter, flüchtiger Spion ist wie eine heiße Kartoffel, die man nicht anfassen möchte. Man hat ihn nie gesehen, nie gesprochen, er ist völlig unbekannt. »Wenn man mich haben will«, wiederholte er. »Ja, mein Gott, wo soll ich denn sonst hin? Ich habe jahrelang dem KGB –«
Denissow winkte ab.
»Sie haben vergessen, daß Sie diesen Namen nie erwähnen sollen!« unterbrach er ihn kalt. »Ich will versuchen, Dubrowin zu erreichen. Dann können Sie mit ihm selbst sprechen. Aber erst verlange ich Ihr Foto.«
Es dauerte eine Stunde, bis endlich aus Moskau das Bild gefaxt wurde und von der Telefonzentrale der Botschaft auf den kleinen Bildschirm auf dem Schreibtisch übertragen wurde. Denissow beugte sich vor, studierte das Foto genau und verglich es mit Köllners Aussehen.
»Sie sind es!« sagte er dann. »Sie werden jetzt mit Dubrowin verbunden.«
Er stellte das Telefon auf einen Lautsprecher um. Ein paarmal knackte es laut, dann hörten sie eine tiefe Stimme mit dem
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