When the Music's Over
hatte, erinnerte sie sehr genau. Und diese Erinnerungen waren das Kapital, mit dem sie die Panzerfäuste und Handgranaten für die Tunnel- Soldaten bezahlte.
Sunshine nannte es die dunkle Seite. Und diese dunkle Seite umfasste die Lücken in ihren Erinnerungen, ihre Erlebnisse auf dem Schiff. Und dann war da noch die Dunkelheit, die ihre Welt wie grau schimmelnder, stinkender Schleim umhüllte. Gegen diese verschiedenen Arten der Dunkelheit gab es nur ein Mittel – tödlichen, finsteren Zorn. Und mit genügend Feuerkraft würde es ihnen vielleicht gelingen, Löcher in diese Dunkelheit zu sprengen. Nein, noch besser, sie würden Löcher in den Himmel sprengen und den Menschen die Sterne zurückgeben. Seltsam, früher hatte sie sich Dinge wie neue Klamotten oder einen CD-Player gewünscht, jetzt wollte sie nur noch nachts den Kopf in den Nacken legen und ohne Angst zu den Sternen sehen.
Die Tunnel-Soldaten sahen sie abwartend an. Wie lange hatte sie stumm dagesessen? Seit sie in dem Schiff gewesen war, hatte Sunshine manchmal diese Blackouts. Sie reckte ihren linken Arm, schob den Ärmel zurück und alle konnten die Narben sehen. Es war Zeit für das Ritual.
»Narben, nichts weiter als Reste von Schmerzen«, sagte Sunshine. Sie griff nach einem Messer und schnitt sich langsam und tief in den Unterarm. Blut floss, doch ihre Miene blieb undurchdringlich. »Narben, Schmerzen – wenn sie verheilen, sind die Schmerzen nur noch Erinnerung. Doch es gibt andere Schmerzen«, sie schlug sich mit der Faust auf die Brust, »die sind hier drinnen und die vergehen nie, sie sagen dir jeden Tag und jede Nacht, dass du noch am Leben bist, und du weißt, dass du eigentlich tot sein solltest. Narben sind auch da drinnen, und sie sind zu deinem Hass geworden.« Sunshine sah in die Runde, sie hatte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. »Schmerzen und Narben – sie sind der Grund, warum wir sie vernichten müssen.«
»Schmerzen und Narben – sie sind der Grund, warum wir sie vernichten müssen«, wiederholten die Tunnel-Soldaten.
»Gut«, sagte Sunshine und stand auf. Sie schritt die Front ihrer Kämpfer ab wie ein General vor der Entscheidungsschlacht. »Ein VID-Team ist in der Stadt«, sagte sie dann unvermittelt. »Dies ist unsere Chance, allen zu zeigen, dass wir keine geisteskranken Terroristen sind.« Sunshine holte tief Luft. »Wir werden eine Aktion durchführen, vor laufenden Kameras.«
»Aber wenn sie wieder so etwas wie mit Frankfurt machen oder wie vor drei Wochen in Hamburg?« Dreisatz sagte es, und die Zweifel aller standen in ihrem Gesicht.
»Opfer des Krieges«, sagte Sunshine. Und dann sah sie jedem in die Augen. »Oder zweifelt hier jemand, dass dies ein Krieg ist?«
Sie schüttelten die Köpfe, jetzt hatte sie sie wieder.
»Und ihr könnt mir glauben, sie wissen, dass wir da sind, und sie haben Angst vor uns. Zeigen wir es den verdammten Vierfingern!«
»Zeigen wir es den verdammten Vierfingern!«, brüllte die Gruppe.
Sie machten sich fertig. Stumm, voll verbissener Ernsthaftigkeit. Kinder, die Krieg spielten. Doch diese Kinder spielten schon längst nicht mehr.
Schlechte Nachrichten
Sandrine McMillan fluchte ausgiebig. Sie fand eigentlich ständig etwas, worüber sie fluchen konnte, sei es ein abgebrochener Fingernagel, schlechtes Licht oder ein unpassender Hintergrund. Unpassend war alles, was ihrem Äußeren nicht zum Vorteil gereichte. Diesmal fluchte sie über ihre zerstörte Frisur.
Das Publikum mochte Sandrine, sie mussten ja auch nicht jeden Tag mit ihr zusammenarbeiten. Faizul wühlte verbissen in ihren Unterlagen. Sie hatte nie begriffen, weshalb sie als Producerin die Launen einer dummen Ansagerin ertragen musste. Denn mehr war Sandrine in ihren Augen nicht. Seit drei Tagen hockten sie jetzt in der Lobby des »Kempi« und warteten auf das Kamera-Team. Alle Zimmer in der Stadt waren belegt, da half auch kein »Wir sind das VID-Team von Kanal 7«. Ali und Brad waren seit Tagen hinter der Story her, ohne auch nur einen Schritt weitergekommen zu sein.
Am ersten Tag war es ihnen noch gelungen, ein paar verbrutzelte Panzer aufzunehmen, doch ehe sie auf Sendung gehen konnten, hatte die Miliz ihr Tape beschlagnahmt. Irgendwo ging etwas vor, sie konnte es förmlich riechen. Und niemand sollte ihr erzählen, die Brandbomben-Attacke wäre die Tat eines geisteskranken Einzeltäters. Nein, in dieser Stadt gab es eine Widerstandsbewegung, und die machte den Besuchern ziemlich Feuer unter ihren kleinen
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