Whisky: Mord im schottischen Schloss (German Edition)
der Chef. Wie es sich gehört“, entgegnete Camilla spöttisch.
Schweigend erreichten sie die Destille.
„Sehen Sie“, sagte Camilla, „die ganze Umgebung gehört zu diesem Whisky: Die Wiesen, Pflanzen, Tiere, der Geruch vom Meer, das alles vermischt sich in der Luft, die der Whisky einatmet.“
Gemeinsam tauchten sie in das Dämmerlicht der Destille.
Sie erreichten die gut dreißig Meter langen
malting floors
, wo die Gerste ausgeschüttet, glatt geharkt und befeuchtet wurde, um sie zum Keimen zu bringen.
„Dreimal am Tag wälzen die Arbeiter die Körnerschicht um, damit der Keimungsprozess gleichmäßig verläuft. Die angekeimte Gerste wird dann auf Sieb-Blechböden unter den Pagodedächern verteilt. Ein Stockwerk tiefer entfacht man in hoch gemauerten Öfen ein Feuer. In das Koksfeuer wird Torf geworfen. Der Torfqualm steigt nach oben, durchdringt und trocknet die Gerste und zieht durch die Pagodendächer davon. Diesen Vorgang nennt man Mälzen. Die dann gedörrte Gerste wird gemahlen, mit Wasser vermischt, es kommt Hefe dazu, die den Zucker in Alkohol verwandelt. In den Kupferkesseln hier mit den Hälsen,
still pots
genannt, wird dann Alkohol aus dem Gemisch herausgekocht, also destilliert. Der Alkohol läuft in den
spirit safe
. Das erste Destillat ist zu stark, das letzte zu ausgelaugt, nur das mittlere, das Filet, kommt in die Fässer. Die Fässer sind aus Eiche, alte spanische Sherry-Fässer. Der Whisky reift dann zwölf Jahre darin. Dieses 600-Liter-Faß ist ungefähr eine halbe Million Euro wert.“ Camilla nickte den Arbeitern freundlich zu. Die murmelten eine Begrüßung.
„Habt ihr einen Moment Zeit? Ich möchte euch die angehende Geschäftsführerin des Hotels vorstellen – Mrs. Reiche.“
Gianna wurde eingehend gemustert, ob für gut oder schlecht befunden, war aus ihren Gesichtern nicht abzulesen. Gianna schüttelte jedem die Hand. Dann verließen sie die Destille.
„Oh Gott, wie es hier stinkt.“
„Finden Sie? Na ja, ist wohl Geschmackssache.“
Als sie wieder herauskamen, sagte Camilla: „So, jetzt würde ich Sie bitten, sich mit dem Computerprogramm, so lange die Informationen noch frisch im Gehirn sind, zu beschäftigen. Fragen Sie McLeish nach den Gästeanmeldungen und geben Sie die Namen schon mal ein. Lesen Sie sich die Anmeldungen durch; einige Gäste wollen gegen Aufpreis eine Suite. Die Suiten haben die Nummern 10, 11, 20, 22. Also, ordnen Sie den Anmeldungen ihre Zimmernummern zu und vergewissern Sie sich, dass die entsprechenden Zimmer in Ordnung sind.“
Gianna nickte.
Camilla atmete tief ein und stieß die Luft prustend aus. Was sollte sie mit dieser äußerst fragwürdigen Nachfolgerin anstellen? Die Abneigung war gegenseitig; das war nicht mehr reversibel. Sie beschloss, ihr noch eine Chance zu geben, bevor sie McLeish den Kopf zurechtrücken würde.
Als sie in den Stall eintrat, empfing sie der wohlig-warme Geruch der frisch eingetroffenen Pferde. Es waren in der Tat alle fünf eingetrudelt. Isabelle wandte ihr den Rücken zu und war mit einer Heugabel am Werken. Sie sah von hinten fast so aus wie Camilla selbst: Mittelgroß, schlank, lange, blonde Haare.
„Hallo“, sprach sie die höchstens Zwanzigjährige an. Die drehte sich ruckartig um.
„Ich glaube, unsere Perücken haben wir im selben Laden gekauft“, versuchte Camilla die Stimmung aufzulockern. Das Mädchen war bestimmt noch von Giannas Auftritt eingeschüchtert.
„Sieh’ mal!“ Sie nahm eine Strähne von ihr und sich selbst und hielt sie aneinander. „Auch die Länge kommt hin.“ Nun fing Isabelle an zu grinsen. „Wie schade, dass Sie gehen und die andere bleibt. Umgekehrt wäre es besser.“
„Für das Hotel mit Sicherheit. Aber nicht für meine Ehe. Mein Mann lebt nämlich in Deutschland und ist schon eine ganze Weile Strohwitwer. Ich heiße übrigens Camilla.“
Isabelles Gesicht strahlte.
„Und? Was machen die Vierbeiner? Haben sie sich schon eingewöhnt? Zeig’ sie mir doch einmal.“
Isabelle führte sie herum. Nach gut einer Stunde wusste Camilla die Vorgeschichte und Eigenart jedes einzelnen Pferdes. Und die von Isabelle noch dazu. Das Mädchen wollte Jockette werden und hatte schon früh angefangen, im Stall zu arbeiten. Und dann geschah das, was vielen die Zukunftsaussichten zunichte macht: Sie wurde zu groß. Ab einer gewissen Größe kann man das Fliegengewicht, das für einen Jockey erforderlich ist, nicht mehr halten, und so war sie frustriert und ohne Perspektive zu
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