Whisper (German Edition)
Taps hat sich gerade noch hergeschleppt, ist aber soeben verendet. Eine Kugel steckt in seiner Lunge. Hat Kinsky sein Funkgerät mit?“ … „Ja, natürlich. Ich rufe Dan und den Constable an. Egal was passiert ist, wir werden sie suchen müssen“ … „Nein, Jasmin geht es gut. Sie ist bei mir“ … “Ja, gut, ich melde mich, sobald ich was weiß.“
David legte auf und beließ die Hand eine Zeitlang auf dem Hörer, bevor er sich zu Jasmin umdrehte. Er blickte in zwei große Augen, die ihn erwartungsvoll ansahen.
„Jaro und Kinsky haben immer ein Funkgerät dabei, damit sie sich melden können, sollte etwas passieren.“ Der Mann zögerte, schien zu überlegen, ob er Jasmin sagen sollte, was er wusste, entschied aber, sie nicht im Unklaren zu lassen. „Als Susanna Kinsky heute Abend angefunkt hat, meldete sich niemand. Diese Kontrollgespräche sind nicht nur wichtig, sondern könne über Leben und Tod entscheiden. Kinsky, Stefan, Jaro und Kino, alle vier wissen das. Unfälle können dort draußen leicht passieren, aber niemand hat auf den Funk reagiert. Dort draußen ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung.“
Der Mann hob wieder den Hörer, wählte eine andere Nummer und hatte abermals eine gefühlte Ewigkeit zu warten. Sichtlich atmete er auf, als sich endlich jemand meldete. David grüßte den Wildhüter und schilderte ihm die Situation in wenigen Worten. Der Mann versprach, sich sofort auf den Weg zu machen. Dann suchte David auch noch die Visitenkarte des Constables und wählte auch dessen Nummer. Diesmal brauchte es lange, bis überhaupt jemand abhob. Aber immerhin, es hob jemand ab. Dieselbe Information. Auch der Beamte der RCMP versprach in den frühen Morgenstunden mit ein paar Mann Verstärkung zu kommen. Als David schlussendlich auflegte, stützte er sich für einen kurzen Moment neben dem Telefon ab und senkte den Kopf. Hunderte Gedanken schossen ihm durch den Kopf, was da draußen wohl geschehen sein mochte. Lebten sie alle noch? War irgendjemand verletzt? Brauchten sie dringend Hilfe? Wie oft hatte er in seinem Leben Menschen, die ihm nahe standen, dort draußen in der rauen Wildnis verloren. Gefahren lauerten hinter jedem Busch, und niemand konnte wissen, ob man der Gefahr gewachsen war oder nicht. Und trotzdem war ihm die Wildnis so vertraut, wie sein Haus, wie sein Wohnzimmer, wie alles, was ihn umgab. Die Sorge sollte ihn jetzt nicht fressen. Die großen Mächte würden nicht zulassen, dass zu viel passierte.
„Und was machen wir jetzt?“ Jasmin hatte ihre Decke fester um sich gezogen. Sie hätte vielleicht doch Schuhe anziehen sollen. Ihre Füße waren kalt.
Ihre banalen Worte zerrten den alten Mann aus seiner Gedankenwelt heraus. Langsam richtete er sich auf und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter.
„Wir werden abwarten müssen. Dan, unser Wildhüter, wird bald hier sein, aber bis zum Morgengrauen werden wir nicht viel ausrichten können. Komm, wir machen uns einen Tee. Jetzt im Kreis zu laufen wird nicht viel bringen.“
Gemeinsam begaben sie sich wieder in den Wohnraum zurück, wo sich Jasmin zur Couch begab, sich dicke Socken anzog und noch eine weitere Decke nahm, um sich rundherum einzuigeln. Dabei beobachtete sie, wie auch David vergeblich versuchte, Jaro oder Kinsky anzufunken.
„Glaubst du, dass die Wilderer Jagd auf sie gemacht haben?“
David sah auf und schüttelte den Kopf.
„Nein, das nicht. Ich glaube viel eher, dass sie die Wilderer überrascht und aufgescheucht haben. Möglich, dass sie sie beim Fallenstellen oder auch beim Ausräumen einer Falle erwischt haben und aufhalten wollten. Kinsky ist normalerweise immer sehr umsichtig, wenn er Jugendliche mit dabei hat. Aber irgendwas ist schief gelaufen. Sonst wäre Tom nicht gekommen und Taps wäre wohl nie erschossen worden.“
„Könnte einer von ihnen verletzt sein?“
David schritt gedankenverloren in die Küche und stellte einen Topf mit Wasser auf den Ofen, rührte etwas in der Brennkammer herum, wobei ihm die Funken um die Ohren flogen, legte nach, und wartete, bis das Feuer wieder brannte.
„Theoretisch könnte alles passiert sein“, antwortete er bemerkenswert ruhig. „Jaro, Kinsky und Kino sind hier groß geworden. Sie wissen sich zu helfen. Eine Verletzung bringt sie nicht aus der Fassung. Knochenbrüche, offene Wunden, alles schon da gewesen. Das bringt niemanden um. Aber noch nie …“, und dabei blickte er kurz auf, starrte in die Luft, wo es eigentlich nichts zu sehen gab, bevor er
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