Whisper (German Edition)
Judith und hältst sie fest. Bei einem Jugendrotkreuzkurs in München hat man uns erklärt, dass manche Menschen sich mächtig wehren, wenn sie Schmerzen haben und deshalb vom Notarzt zuerst ruhiggestellt werden müssen. Uns fehlen hier draußen die Medikamente. Also werden wir sie festhalten müssen. Schaffst du das?“
Der Junge nickte zart.
„Ich glaube schon. Ich werd´s versuchen.“
„Nicht versuchen, Markus, machen, okay? Christina …!“ Die Angesprochene schrak ungewollt heftig zusammen und sah Jasmin groß an. „Du setzt dich auf ihre Beine. Sie darf nicht treten, sonst kriegen wir die Falle nie auf. Wenn sie wieder zuschnappt, hacken wir ihr das Bein ab. Geht das?“
Christina brauchte einen kurzen Moment, um vom Modus ´Unsicherheit` auf ´Sicherheit` umzuschalten. Jasmin glaubte für einen Augenblick, nicht mit Christina rechnen zu können, irrte sich aber, denn auf einmal kam Christina erstaunlich sicher heran, trat über das am Boden liegende Mädchen und ging über ihren Beinen in die Knie.
„Lass mich raten“, erklärte sie. „Nicht versuchen … machen!“
Jasmin nickte ihr dankend zu und sah auf Patrick und Edith. Jeder hatte seinen Teil zu Judiths Befreiung beizutragen. Ohne Ausnahme, sonst war nicht nur das Bein, sondern auch sie selbst verloren. Ein „Ich kann das nicht“ würde jetzt und in dieser Sekunde Jasmin nie gelten lassen.
„Patrick, du hilfst mir die Falle zu öffnen und Edith, du schiebst Gegenstände dazwischen, damit das Ding nicht mehr zuklappt. Egal was Judith tut, egal wie sie werkt und schreit. Ihr müsst das überhören und durchhalten, bis wir das Bein draußen habe. Ist alles klar?“
Jasmin wusste im Augenblick nicht, vor was sie alle mehr Angst hatten. Vor dem Bären, der nach einem prüfenden Blick noch immer bei dem dicken Baum stand und sich genüsslich an der rauen Rinde rieb, oder vor der bevorstehenden Aufgabe, Judith aus der Falle zu befreien. Jasmin spürte, wie ihr Herz bis zum Hals klopfte. Die Aufregung ergriff von ihr Besitz und machte sie nervös. Sie würden alle ihre Grenzen übertreten. Die Aufgabe war nicht leicht. Judith vor Schmerz schreien zu hören, war etwas, was durch Mark und Bein fahren würde. Und sie hatten alle keine Zeit, sich darauf vorzubereiten. Es war der Gedanke sie rauszuholen, der reichen musste, und der Wille, durchzuhalten.
Edith hatte schnell einige feste Äste zu sich herangeholt und Steine bereitgelegt, die alle unterschiedlich stark waren. Auch sie wirkte angespannt, nervös und verzweifelt. Christina hockte über Judiths Beinen, bereit sich sofort draufzusetzen und Markus war hinter Judith gekrochen und hatte ihr beide Arme nach hinten gebogen, bereit, sie ihm Schwitzkasten zu belassen so lange es nötig war. Jasmin warf einen Blick zu den Raben und atmete dabei tief durch. Ich könnte ein wenig Hilfe gut brauchen, dachte sie bei sich, wenn ihr also da seid, um uns zu unterstützen, dann wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür.
„Sie sitzen noch immer dort oben!“
Jasmin sah in Patricks Augen. Er hatte wohl den Blick von ihr bemerkt.
„Ich weiß“, gab sie zurück, „sie werden uns helfen“, verhielt kurz und sah jedem nochmals ins Gesicht. „Und los!“
Christina fiel auf Judiths Beine und presste ihre Knie zusammen, Markus verstärkte seinen Griff und Jasmin griff erstmals nach der Falle, die den Fuß hielt. Schon bei der ersten Bewegung brüllte Judith entsetzt auf. Das irre Schreien ging unter die Haut, drang tief ins Gehirn und sorgte im Normalfall dafür, dass Menschen ihre Arbeit sofort fallenließen und dem Herzinfarkt nahe waren. Doch hier gab es kein Fallenlassen und auch keinen Herzinfarkt. Hier gab es nur Leben oder Tod, und man hatte sich eindeutig für das Leben entschieden!
Jasmin setzte die Spitze jenes Messers, welches sie aus dem Stall mitgenommen hatte, zwischen den Schlagbügeln an und bohrte es hinein. Mit einigem hin und her Wackeln, Patrick fixierte währenddessen die Falle, wobei er sein Knie über Judiths gesundes Bein gelegt hatte, gelang es Jasmin, die Klinge hindurchzuschieben. Kaum hatte sie die Schlagbügel diese paar Millimeter auseinandergezogen, schob sie einen Schraubenzieher in den winzigen Schlitz. Die Bügel öffneten sich um wenige Millimeter. Jasmin schob den Schraubenzieher weiter, wodurch sich auch das Eisen weiter öffnete. Kaum war er ganz durch, nahm sie einen Schraubenschlüssel. (Weiß Gott, warum sie den mitgenommen hatte.) Auch der ließ sich mit
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