Whisper (German Edition)
Schmerzen zufügen wollte. Die Bewegungen wirkten unbeholfen und verrenkt. Aber sie schafften es, indem sie sie an beiden Oberschenkeln sanft hochstemmten. Die Burschen erwiesen sich als äußerst geschickt und umsichtig. Christina hatte sich bei Judiths erstem Schrei abgewendet und sich die Ohren zugehalten, während Edith eine Hand vor den Mund hielt, unfähig mitzuhelfen. Die Schreie, welche Judith von sich gab, fuhren den beiden mächtig unter die Haut. Nie wieder würden sie vergessen, wie es sich anhörte, wenn ein Mensch vor lauter Schmerz wie am Spieß brüllte.
Die Situation entspannte sich erst, als die Verletzte am Pferd saß und sich am Horn festklammerte. Vorsichtig schob Jasmin ihren Fuß in den Steigbügel. Nach anfänglichem Stöhnen - Jasmin bekam den Eindruck, Judith würde gleich quer über das Pferd kotzen - hielt sich der Fuß im Bügel und wurde leicht nach außen gedreht.
„Alles okay?“, fragte Jasmin und bemerkte das schwache Nicken mit heftig zusammengebissenen Zähnen. Unglaublich, was das Mädchen gerade leistete. Die Schmerzen mussten mörderisch sein.
„Was machen wir mit der Falle?“
Gute Frage. Markus holte sie und hielt sie eine Zeitlang in die Luft.
„Normalerweise“, bemerkte er laut, „sollten wir sie als Beweis mitnehmen. Am liebsten würde ich das Ding den Wilderern um die Ohren schlagen, beziehungsweise deren Füße da reinstecken. Arschgesichter!“
„Wirf sie in die Büsche“, entschied Jasmin. „Jetzt kann sie niemandem mehr gefährlich werden. Das Ding ist angekettet. Ich will sie nicht mehr sehen!“
Markus nickte ihr bestätigend zu. Weg damit. Solche Fallen brachten nur Unheil, Tod und Verderben über Mensch und Tier. Ganz kurz nahm er das Ding nochmal in die Hand und betrachtete die Schlagbügel. Bis vor wenigen Tagen hatte er noch nicht mal gewusst, dass es sowas gab. Jetzt war ihm veranschaulicht worden, was man damit anrichten konnte. Welches Leid mussten Tiere wohl durchstehen, die tagelang in diesen Dingern hingen. Erschreckend, wie grausam der Mensch doch war.
„Markus!“
Nachdem der Junge nicht reagierte, sondern immer noch auf die Falle starrte, rief Jasmin ihn noch ein zweites Mal.
„Markus!“
Und diesmal zuckte er zusammen, winkte ihr kurz zu und warf die Falle neben dem Baum in einige Büsche und bedeckte sie mit Laub.
„Ich komme schon“, antwortete er und löste sich endgültig von den Bildern der letzten Stunden. Nein, er würde es nicht vergessen, ganz sicher nicht.
Jasmin nahm Toms Zügel, kontrollierte noch einmal Judiths Sitz, die sich tapfer festhielt, und drehte den Wallach zu sich um.
„Können wir?“, fragte sie in die Runde. Patrick hob seinen Daumen, Markus tat es ihm kurz darauf nach und die Mädchen gaben nur ein vorsichtiges Nicken von sich.
„Dann los!“ Sanft trottete das Pferd hinter Jasmin her, so wie an jenem Tag, an dem sie acht Stunden durch den Wald gelaufen waren. Keine Frage, die Kinskys hatten ihre eigene Art, die Belastbarkeit, Angst und Sturheit der Kids auf die Probe zu stellen. Jasmin konnte sich gut vorstellen, dass bisher noch niemand den Marsch durchgehalten hatte, wo doch der Sattel so einladend lockte. Bisher! Jasmins Füße waren noch immer nicht ganz verheilt und jetzt lag wieder ein Gewaltmarsch vor ihr. Aber was waren schon wund gescheuerte Füße gegen das, was Judith zu ertragen hatte. Sie musste in ein Krankenhaus, und mit viel Glück heilte alles wieder zusammen, ohne Spuren zu hinterlassen. Hatte sie Pech, würde sie ein Leben lang an ihr Abenteuer in Kanada erinnert werden.
Nur ganz kurz schweiften Jasmins Gedanken ab. Ihr Gesicht, ihr Antlitz, ihre Hände. Wenn sie eines wusste, dann, wie sich Schmerzen anfühlten.
Schweigend stapfte die Gruppe hinter dem Pferd her. Christina und Patrick gingen neben Tom, darauf achtend, dass sich Judith im Sattel hielt, während Markus ganz hinten Edith den Arm um die Schultern gelegt hatte. Er sprach ihr gut zu und half ihr damit, der Situation zu begegnen und nach vorne zu sehen. Edith war kein harter Mensch. Das Abenteuer nagte an ihrer Substanz und nahm ihr viel von ihrer Kraft. Jasmin hatte ihre Tränen gesehen. Sie musste durchhalten. Es blieb ihr nichts anderes übrig, und mit Markus an ihrer Seite würde es ihr um Ecken leichter fallen.
Sie kamen wirklich nur langsam voran. Jasmin wagte sich nicht, Tom schneller zu führen, zudem war das Gelände auch nicht unbedingt für einen Verletztentransport gemacht. Ständig musste sie eng
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