Whisper (German Edition)
hatte ihn gefesselt einfach vom Pferd geschubst und zurückgelassen, und war mit den anderen weitergeritten.
„Bevor sie euch finden, sind wir längst über alle Berge“, hatte einer der Wilderer gesagt und Kino musste zusehen, wie der Mann mit seinem Vater und seinen Freunden davonritt. Vermutlich würde er auch Stefan, Kinsky und Jaro irgendwo wie Müllsäcke zurücklassen. Es stimmte. Bis sie sich befreit hatten, einander gefunden und zur Ranch zurückgegangen waren, würden Stunden vergehen. Zudem brach die Nacht bereits an. Es war mehr als nur ungesund, in der Dunkelheit durch den Wald wandern zu wollen, ohne sich orientieren zu können. Zudem war die Gefahr, einem Raubtier direkt in die Arme zu laufen, viel zu groß.
Kino hatte sich schnell von seinen Fesseln befreit und überlegt, ob er der Fährte der Wilderer folgen, oder ob er gleich den Heimweg antreten sollte. Seine Sorge galt den Jugendlichen. Die Wildnis war sein Zuhause. Er kannte sie, kannte ihre Gefahren, wusste, wie man sich zurechtfand, und wie man wilden Tieren begegnen musste. Die Kids wussten das nicht. Sie hatten keine Ahnung, hatten vermutlich mächtige Angst und keinen Schimmer, wohin sie sich wenden sollten. Doch ohne Pferd würde er sie kaum finden.
Kino beschloss der Fährte zu folgen, solange er sie noch sehen konnte. So hatte er die Chance, die anderen wiederzufinden. Vielleicht würden die Wilderer auch die Pferde einfach freilassen. Alle mitzunehmen war wohl eher ein übertriebenes Unterfangen. Seine Stute, Takina, war mit der Wildnis vertraut. Wenn sie ihn pfeifen hörte, würde sie vielleicht kommen, und mit wirklich viel Glück, blieben die anderen an ihrer Seite. Normalerweise schlossen sich ihr die jüngeren Pferde gerne an und überließen ihr die Führung. Auf der Koppel funktionierte das. Ob dieselben Regeln aber auch in der Wildnis galten, wusste er nicht. Möglich, dass sich alle Pferde verstreuten und versuchten, irgendwie den heimatlichen Stall zu erreichen.
Kino war gegangen, bis er die Fährte nicht mehr sehen konnte. Dann hatte er sich einen geschützten Platz gesucht und sich in einer Felsennische etwas entspannt. Schlafen konnte er nicht. Dafür machte er sich zu viele Sorgen.
Mitten in der Nacht war er wach geworden und hatte sich mächtig erschrocken. Jasmin war vor seinem geistigen Auge erschienen. Jasmin, die er bei seinem Großvater in Sicherheit wähnte. Aber irgendwas sagte ihm, dass sie nicht mehr dort war. Sie hatte sich entfernt, war weg, und er wusste nicht warum und wieso. Und dieses Wissen machte ihn zusätzlich verrückt. Jasmin allein in der Wildnis zu wissen war nicht das, was er sich vorstellen wollte. Sie hatte Fähigkeiten, die keiner der Jugendlichen besaß. Das wusste er. Die Raben werden sie leiten und der Grizzly beschützen. Worte seines Großvaters. Die Raben begleiteten Jasmin, das hatte er gesehen. Was immer die Mächte dazu trieb, sie behielten sie im Auge und das Erstaunliche daran war, Jasmin wehrte sich nicht dagegen. Ganz im Gegenteil, sie nahm es an, hatte Kontakt zu ihrer alten Stute, sprach im Geiste mit ihr. Eine Sache, die die Mächte erlaubten. Jasmin verschloss sich nicht davor, war offen dafür. Ihre Zeichnungen, das goldene Pferd. Er hatte es gesehen, mehrmals, und er war sich sicher, dass dieses Pferd auf Jasmin gewartet hatte. Ihre Zeichnungen waren authentisch. Sie lebten, hatten Seele. Weil es eben dieses Pferd gab, das sie gemalt hatte. Sie war immer nur kurz erschienen, hatte sich gezeigt und war wieder verschwunden. Sie zu verfolgen, ein sinnloses Unterfangen. Die Stute hatte nie Spuren hinterlassen. Jetzt war der Moment, in dem er sich sicher war, dass Jasmin allein die Wildnis durchquerte. Sein Gefühl sagte ihm das. Er betete inständig und bat die großen Mächte mehrmals, sie zu schützen und ihr nichts passieren zu lassen.
Nun war es Morgen. Die Fährte der Wilderer lag klar vor ihm und Kino war entschlossen, ihr zu folgen. Irgendwann musste er doch auf jemanden treffen. Vielleicht auf eines der Pferde, vielleicht auf Stefan, seinen Vater oder auf Kinsky, je nachdem in welcher Reihenfolge man sie „ausgesetzt“ hatte.
Im flotten Tempo folgte Kino der Hufspur. Der Waldboden war weich und die Hufe hatten tiefe Risse im Erdreich hinterlassen. Es war nicht schwer, den Weg zu finden. Selbst ein Blinder hätte dieser Fährte folgen können. Es folgten Pferdeäpfel, ein abgebissener Ast. Mehrmals hatten die Pferde während des Gehens Zweige abgerissen oder waren
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