Whisper (German Edition)
blutüberströmter Bärenkopf entgegenschaute. Ihre Herzfrequenz schnellte nach oben, und von einer Sekunde auf die andere fing sie heftig an zu atmen und zu keuchen. Patrick war generell einige Meter nach hinten gesprungen, während seine Gesichtsfarbe von grün, auf lila und schließlich auf weiß wechselte. Entsetzt griff er sich an den Hals und würgte leicht.
Jasmin hatte sich schneller wieder im Griff. Sie atmete mehrmals tief durch, wartete, bis ihr Herzklopfen wieder nachgelassen hatte, und trat noch einmal auf die Ladefläche zu. Dort lag er, der Bärenkopf, neben einigen frischen Tierhäuten und anderen Kadavern, von denen sie nicht wissen wollte, was es war. Es stank nicht faulig, also mussten die Tiere frisch getötet worden sein. Jasmin dachte an die Fallen, an die Tragödien, die sie bisher im Wald miterlebt hatte. An das Wapitikitz, das von einer Ziege groß gezogen wurde, da seine Mutter den Wilderern zum Opfer gefallen war. Sie dachte an das Kalb, an den toten Bären, an die Falle, die Kino wütend entschärft hatte, an jene, in der Judiths Fuß gesteckt hatte. Sie konnte nichts mehr für die toten Tiere tun, die sie auf dem Pick Up gefunden hatte, außer die Seelen, die diesen Körpern entwichen waren, um Vergebung bitten. Kino hätte es so getan. Jasmin berührte den Bärenkopf sanft mit den Fingern. Das Fell fühlte sich noch immer weich an, obwohl jedes Leben aus dem Kopf gewichen war. Wie majestätisch musste der Bär wohl ausgesehen haben, als er noch durch die Wälder kreuzte. Entschieden zog sie ihre Finger wieder zurück. Menschen waren grausam. Kein Tier tötete auf diese Art und Weise, und wenn es tötete, dann nur um selbst zu überleben. Das, was hier passierte, war typisch für die Menschheit. Die Gier nach Macht und Geld machte nirgendwo halt. Und genau jetzt waren die Wilderer wieder unterwegs, um nichts ahnenden Tieren den Gar auszumachen. Zornig schlug Jasmin die Plane wie zu.
„Das ist das Auto der Wilderer!“, stellte sie trocken fest und wandte sich Patrick nur kurz zu, der immer noch mit seiner Gesichtsfarbe zu kämpfen hatte, weshalb sie an dem Fahrzeug entlang ging und neugierig in die große Fahrerkabine blickte. Auf der Rückbank lagen einige alten Zeitungen, ein Zaumzeug, ein Gürtel, ein Koffer, zu klein für ein Gewehr, aber groß genug, um darin vielleicht ein Messer oder Ähnliches aufzubewahren, diverser unwichtiger Krimskrams und …
„Das ist ein Satellitentelefon!“
Jasmin rutschte das Herz fast in die Hose. Sie hatte nicht bemerkt, wie Patrick an sie herangetreten war und ebenfalls hinter ihr durch das Autofenster blickte. „Mit so einem Ding wird auch auf der Ranch telefoniert. Wenn wir jetzt wüssten, wie in das Auto reinkommen, dann könnten wir einen Notruf absetzen, sofern der Akku geladen ist.“
„Und beim nächsten Mal warnst du mich bitte, bevor du den Herzschrittmacher ersetzt, okay!“
„Tschuldigung!“
Jasmin atmete tief durch. Ihr Herz hatte tatsächlich einige Schläge ausgesetzt. Doch dann betätigte sie den Türgriff, musste aber enttäuscht feststellen, dass der Wagen verschlossen war. Kurzzeitig dachte sie daran, einfach ein Fenster einzuschlagen, als ihr Patrick die Hand auf den Oberarm legte.
„Warte“, meinte er, bückte sich zum Vorderreifen und ließ die Hände darüber gleiten. „Meine Mutter hatte immer die Angewohnheit, den Schlüssel aufs Rad zu legen, wenn sie wandern ging. So konnte sie ihn nicht verlieren. Vielleicht haben auch andere diese Anwandlung.“
Er untersuchte den zweiten Vorderreifen, dann die Hinterreifen, nichts. Als nächstes blickte er unter das Auto. Manche Menschen legten ihre Schlüssel hinter die Räder. Nichts! Sorgfältig überprüfte er die Stoßstangen, umrundete das Fahrzeug mehrmals, sah sogar in Einbuchtungen auf der Ladefläche nach, bis ihm die Idee kam, beim Hänger nachzusehen. Der Transporter hatte zwei Achsen. Linke Seite, nichts. Rechte Seite, Patrick stand auf und zeigte Jasmin sein Fundstück.
„Wir haben ihn“, frohlockte er, grinste über das ganze Gesicht und betätigte die Fernbedienung des Schlüssels. Es knackte am Auto, die Blinklichter leuchteten kurz auf und das Fahrzeug war offen. Während Jasmin sich etwas scheute, war Patrick sofort heran und riss die Tür auf. Er beugte sich in das Auto, nahm nicht nur das Telefon an sich, sondern auch den kleinen Koffer, der dort auf dem Sitz lag. Mit dem Fuß stieß er die Tür wieder zu und schaltete mit dem Daumen das Telefon
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