Whisper (German Edition)
selbst zu hören, zu ´sehen` was es angeblich nicht gibt, und dir selbst zu vertrauen, wäre jetzt. Entscheide selbst. Ich habe entschieden. Du kannst jetzt mitkommen und den ´Wahn` weiter verfolgen, oder lass es, steig ab und bleib im Wald sitzen, bis der nächste Hampelmann kommt und dich einsammelt. Aber entscheide schnell, denn ich werde nicht warten.“
Die goldene Stute setzte sich wieder in Bewegung. Tom reihte sich automatisch hinten ein und Patrick hatte gar keine Chance, irgendwas daran zu ändern. Jasmin hörte nur, wie er aufstöhnte.
„Okay, okay“, rief er dann nach vorne. „Ich kann mir sowieso nicht helfen. Kann ich wenigstens Bedingungen stellen?“
„Nein!“, antwortete Jasmin, ohne stehenzubleiben.
„Darf ich wenigstens fragen, was genau du vorhast?“
„Nein!“
Kurze Pause. Jasmin ahnte, dass Patrick hinter ihr völlig verzweifelte. Seine Reitkenntnisse waren nicht gut genug, um Tom in eine andere Richtung zu lenken. Bisher waren die Kids immer nur Schritt geritten. Trab und Galopp hatten sie auf der Bahn geübt, aber es fehlte noch an Training. Zudem besaß er nicht das Wissen, Tom zu erklären, was er wollte. Sein Wissen von der Wildnis war klein, und er fühlte sich verloren. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als ihr zu folgen und Jasmin hatte nicht vor, mit ihm deswegen zu diskutieren.
„Mann, darf ich überhaupt etwas?“
Jasmin drehte sich nur halb um.
„Wie wäre es damit, einfach die Klappe zu halten, bevor du die Wilderer auf uns aufmerksam machst.“
Patrick verstummte, als ob man ihm etwas in den Mund gestopft hätte. Ganz unrecht hatte sie nicht. Er musste sich wohl oder übel damit abfinden, hinter Jasmin herzureiten, und begann sich im Stillen zu fragen, woher dieses helle Pferd wirklich gekommen war, wie es Jasmin schaffte, sie ohne Sattel und Zaum auf dem glatten Rücken zu halten, wieso die beiden schwarzen Vögel wirklich immerzu auf sie zu warten schienen und warum Jasmin das wusste, was sie wusste. Er hatte auf alle diese Fragen keine Antwort. Hatten Jasmin und Kino vielleicht recht. Gab es wirklich etwas Höheres, was einen leiten konnte? Gehörten solche Gedanken nicht eher in eine Science-Fiction Serie, oder in ein neues X-Box Spiel?
Jasmin ließ sich von Mystery über eine Kuppe tragen. Der Wald hatte sich etwas gelichtet, was sie dazu verleitete, über die Bergwiese zu traben. Es roch nach Kräutern und Gräsern. Der nächtliche Regen schien die Wiese reingewaschen zu haben, und noch einmal versuchten die Blumen vor dem Winter ihre Schönheit zu entfachen. Schon sehr bald würde es kalt werden und die Pflanzen sich unter einer dicken Schneedecke verstecken.
Jasmin sah einen Fuchs, der in langen Sätzen vor ihr flüchtete und zwischen den Büschen verschwand. Sie lenkte die Stute nicht, ließ sich einfach tragen. Es schien, als würde das Tier ganz genau wissen, wohin es sie zu bringen hatte. Und Mystery hatte ein genaues Ziel. Auf der Bergwiese hielt sie sich leicht nach rechts, marschierte bergab und verfiel wieder in Schritt, als es steiler bergab ging. Der Boden war nach wie vor rutschig und aufgeweicht. Jasmin bemerkte, dass der Sturm mächtige Spuren hinterlassen hatte. Vereinzelte Bäume waren geknickt, abgebrochen oder aus dem Erdreich gerissen worden, und lagen nun wie Zahnstocher kreuz und quer im Wald verstreut. Doch alles in allem schien die Wildnis auf solche Eingriffe der Natur vorbereitet zu sein. Die Schäden hielten sich in Grenzen.
Mystery marschierte eine ganze Weile bergab, umrundete Baumstämme, durchquerte dichte Waldgebiete, wie auch weite Wiesen. Immer wieder tauchten die Raben vor ihnen auf, machten sich bemerkbar und verschwanden wieder. Jasmin versuchte sich zu orientieren, überlegte, ob sie den einen oder anderen Berggipfel schon mal gesehen hatte. Musste aber passen. Sie kannte die Gegend überhaupt nicht und hatte gar keine Ahnung, wie sie jemals auf die Ranch finden sollte.
Sie erschrak, als nach einer Weile die Raben plötzlich laut wurden und Mystery abrupt stehenblieb. Zuerst starrte die Stute fix nach vorne, bewegte ihren Kopf aber dann zurück, als ob sie Jasmin ein Zeichen geben wollte. Und Jasmin reagierte darauf. Angestrengt suchte sie zwischen den Bäumen nach einem Grund, einem Anhaltspunkt, nach irgendwas, was anders war.
Man musste schon ein sehr geübtes Auge besitzen, um das vermutlich grüne Fahrzeug zwischen all den Bäumen zu erkennen, welches zudem von Büschen zusätzlich verdeckt war.
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