Whisper (German Edition)
möchte wissen, ob du verstehst, was wir sagen? Du kannst mit dem Kopf schütteln oder nicken. Es würde mir vieles leichter fallen, wenn ich weiß, ob du alles verstanden hast.“ Keine Reaktion. „Also, du verstehst die englische Sprache, mich und Susanna?“
Es dauerte eine ganze Weile, aber es kam ein ganz zartes Nicken zu ihm herüber, was Kinsky schon reichte.
„Sehr gut“, meinte er absolut ruhig, „und weiters würde ich dich bitten, mir deine Hände zu zeigen. Deine Eltern haben mir deine Verletzungen beschrieben. Ich will dir keine Arbeiten auftragen, die du körperlich nicht zu tun imstande bist. Das wäre Blödsinn. Um aber zu wissen, was du bewältigen kannst und was nicht, möchte ich deine Verletzungen sehen. Ist das für dich möglich?“
Das Mädchen versteifte sich und hob dezent den Kopf. Kinsky war klar, dass ihr das unangenehm war. Sie verbarg sich nicht umsonst, und jetzt sollte sie zeigen, was sie eigentlich verstecken wollte, weil es sie quälte. Er ließ ihr Zeit. Der Mann wollte sie nicht wie ein rohes Ei behandeln, aber er wollte sie auch nicht überfordern. Vorsichtig musste er sich an das Mädchen herantasten, die verschlossener nicht sein konnte, um herauszufinden, wie gut oder schlecht es um sie bestellt war.
Es dauerte eine ganze Weile, die Kinsky geduldig abwartete, doch dann hob sie ihre Hände und zog vorsichtig mit spitzen Fingern die Ärmel ihres Sweaters zurück. Zum Vorschein kamen Narben über Narben, die ihre Unterarme übersäten. In der Beschreibung hatte gestanden, Jasmin hätte sich bei einem Unfall, die Hände zerschnitten und mehrere Sehnen durchtrennt, die aber alle erfolgreich in mehreren Operationen wieder zusammengenäht worden waren. Einige Muskeln waren so schwer verletzt gewesen, dass sie fast einen Arm verloren hätte. Aber die Ärzte hatten ein wahres Wunder vollbracht. Sie hatte beide Arme behalten, konnte alle Finger bewegen, hatte Kontrolle über ihre Arme, es fehlte lediglich noch an Kraft. Die Heilung dauerte an.
Kinsky nahm beide Hände in die seinen und drehte sie um. Die Verletzungen waren gut verheilt, zumindest äußerlich. Mit der Zeit sollte Jasmin einen Teil ihrer Kraft zurückgewinnen, während die Narben mehr und mehr verschwinden würden, allerdings … Reste würden bleiben. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie manchmal starke Schwierigkeiten hatte, kraftvoll zuzugreifen oder etwas Schweres zu heben. Die Situation mit dem Glas hatte das eindeutig bewiesen.
Vorsichtig nahm er ihre Finger.
„Drück zu“, befahl er ihr, „so fest du kannst.“
Wieder dauerte es eine Weile. Jasmin erhärtete den Druck der rechten Hand. Kinsky sah, wie ihre Muskeln arbeiteten und erkannte, dass das Mädchen wirklich nicht log. Ihre Kraft war zart bemessen.
Das Gleiche versuchte er nun auch mit der linken Hand. Diese schien etwas kräftiger zu sein. Bei einem genauen Vergleich wies sie auch weniger Narben auf.
„Kannst du reiten?“
Es war nur ein hin und her Pendeln des Kopfes, was ein „Nein“ bedeuten sollte. Eine Antwort, die überraschend schnell kam.
„Du hast genug Kraft, es zu lernen“, Kinsky sah sie offen an. „Ich habe einige Arbeiten für dich, die du machen kannst. Und solltest du etwas fallenlassen oder kaputtmachen, dann ist das nicht schlimm. Wir sehen das nicht ganz so eng. Geh jetzt in dein Zimmer. Morgen haben wir einen harten Tag vor uns.“
Jasmin gehorchte automatisch. Sie zog ihre Ärmel wieder nach unten, stand leise auf und verließ ebenso leise den Raum. Es war, als würde sie hinaus schweben. Geräusche machte sie kaum.
„Und?“, fragte Susanna, kaum dass sich die Tür verschlossen hatte.
Kinsky zuckte mit den Schultern.
„Sie passt nicht in die Gruppe. Die anderen Fünf sind Härtefälle, das Übliche an überdimensionaler Coolness, aber sie ist ein Härtefall in nicht mehr leben wollen. Viel Kraft hat sie nicht, aber sie könnte zumindest etwas davon durch bewusstes Training zurückerlangen. Ihre Muskeln sind klein und wenig gefordert, was sich aber reparieren lässt. Sie zu öffnen wird das größte Problem werden. Du hast gesehen, wie die anderen reagiert haben. Sie kennt das. Sie weiß genau, wie sie aussieht. Ihr mit Mitleid zu begegnen ist der falsche Weg. Sie braucht nicht nur eine Aufgabe, sie muss erkennen, dass sie den anderen ebenbürtig ist.“
„Hast du Bobby gesehen?“
Kinsky blickte auf seinen kleinen Sohn, der mit einem Stift auf einem Zettel herummalte. „Er hat sich noch nie jemandem
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