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Whisper (German Edition)

Whisper (German Edition)

Titel: Whisper (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandy Kien
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verborgen blieben. Seine Worte waren nie leere Worte. Aber seinem Großvater würde nie einfallen, ihm detailliert zu sagen, was er zu tun hatte. Das musste jeder selbst wissen. So, wie er gesagt hatte. Seinen eigenen Weg musste man selbst ebnen, das nahm einen keiner ab.
    „Whisper wird gehen“, brachte Jasmin plötzlich hervor und hob kurz ihren Kopf, um dem alten Mann ins Gesicht zu blicken. Es dauerte eine Weile, doch dann nickte dieser langsam.
    „Sie wird gehen!“, meinte er tief. „Eine Seele kann nicht ewig in dieser Welt verbleiben!“ Jasmin wandte ihren Blick wieder ab. Kino war klar, dass sich ihre Augen abermals mit Tränen füllten, die sie diesmal zurückhalten wollte.
    „Und du solltest sie gehen lassen.“ Seine Stimme klang beruhigend und war tief berührend. „Whisper macht sich Sorgen um dich. Aber sie weiß, dass du die Kraft hast, jedes Hindernis zu überklettern oder beiseitezuräumen, wenn du es nur willst. Sie wird dich nicht vergessen, aber ihre Seele möchte ruhen. Du solltest das respektieren. Loszulassen ist eine Fähigkeit, die viel Willen erfordert. Sie hat dir geholfen, jetzt hilf auch ihr.“
    Jasmin schloss die Augen. Krampfhaft schluckte sie den Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals breitgemacht hatte. Whisper war immer für sie da gewesen. Immer, jeden Tag, in der Nacht, wenn es ihr schlecht ging, und wenn sie jemanden brauchte. Whisper war die Kraft ihres Lebens gewesen. Alles, was sie aufrecht erhalten hatte und jetzt auch noch erhielt. Jetzt gab es dieses Wesen nicht mehr. Und trotzdem begleitete sie ihre Seele. Whisper war so alt und hatte sich ihre ewige Ruhe sicher verdient. War sie egoistisch, sie nicht gehen zu lassen, immer wieder nach ihr zu rufen und sie um Hilfe zu bitten? Man muss sich seinen eigenen Weg selbst ebnen. Es gab niemanden, der kam, und einem zeigte, wohin es ging. Und sollte es diesen jemand doch geben, so zeigte er einem vielleicht den falschen Weg, dorthin, wo man gar nicht hin wollte. Jasmin hatte sich bisher den Weg vorzeichnen lassen. Auf ihren Willen war nie viel Rücksicht genommen worden, und sie hatte es auch nicht eingefordert. War es Zeit genau das zu tun? Besaß sie diese Macht?
    „Dieser Ort hier“, der alte Mann ließ seinen Arm vor sich durch die Luft gleiten, „mit dem Zeichen in der Erde soll für euch beide ein besonderer Ort sein, an dem ihr beide immer wieder zurückkehren werdet. Wann und wie oft, das weiß der Große Geist. Der Kreis mit dem stärksten Punkt in der Mitte wird bleiben. Und er wird euch helfen, wenn Rat vonnöten ist. Du, Jasmin, solltest eines nie vergessen.“
    Das Mädchen sah abermals auf und blickte in die glitzernden Augen des alten Mannes. „Die Raben werden dich leiten, der Grizzly beschützen. Ehre den Raben, in dessen Zeichen du geboren bist, und achte den Bären als dein Totemtier. Die Weisheit und Anpassungsfähigkeit des Raben sind dein, der Bär vermittelt dir Kraft und Stärke. Halte daran fest, Jasmin. Es sind deine Zeichen, deine Kraft.“
    Damit stand der alte Mann auf und blickte noch eine Weile über die Weite des Tales, welches so nah wirkte. Und man konnte erkennen, dass er eins mit diesem Bild war. Er gehörte hierher, wie jeder Baum, jede Blume, jeder Stein und jeder Busch. Er gehörte in diese Welt. Es vergingen nur Augenblicke, Sekunden, aber das Bild des Mannes am Rande eines Abgrundes, die Arme vor der Brust verschränkt … Es gab nichts, was diesen Moment besser bekräftigt hätte.
    „Wir alle sollten zurückreiten und uns nicht verkriechen!“ Es war fast störend den alten Mann plötzlich wieder sprechen zu hören, aber es zeigte, dass man tief in ein Bild tauchen konnte, das einem für ganz kurze Zeit alles Sorgen nahm, und aus dem man die Kraft schöpfte, um weiterzumachen. „Das ist keine Lösung. Die Lösung liegt auf dem Weg.“ Damit wandte er sich um und dieses eigene Bild, umgeben von so viel festgehaltener Einheit, verschwand.
    Auch Jasmin und Kino erhoben sich, wobei Kino das Mädchen an der Hand schnappte und zu sich heranzog. Sie standen schon im Begriff über den Hang wieder zu den Pferden hinunterzuklettern, als der alte Mann Jasmin noch einmal auf die Schulter griff und aufhielt.
    „Jasmin!“ Sie verhielt, blickte zu ihm auf. „Du bist nicht allein. Wir alle stehen hinter dir. Wenn du klug bist und die Zeichen siehst, wirst du merken, dass auch Whisper dich nicht allein lässt. Auch wenn sie gegangen ist.“ Er zwinkerte, leicht, fast unauffällig, aber es

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