Whisper (German Edition)
Realität. War es das, was Whisper ihr heute Morgen im Traum hatte mitteilen wollen? Natürlich veränderte sich ihr Leben. Jetzt, gerade jetzt und doch … Sie erinnerte sich an Whispers eindringlichen Worte.
Schau in die Augen des Pferdes. Nur der Blick eines Pferdes wird dir sagen, was richtig und was falsch ist.
Jasmin sah Kinsky an der Veranda stehen. Susanna hatte Bobby auf dem Arm und trat näher an sie heran. Jaro, David und Kino folgten von hinten.
Manuel Devot schob Jasmin die Treppe hinunter und bewegte sie Richtung Stall. Diese war einladend weit geöffnet. Das Mädchen bildete sich ein, Patrick durch die Stallgasse huschen zu sehen. Sie vernahm Stimmen, die sich flüsternd verständigten. Hufgetrampel drang an ihr Ohr. Was um alles in der Welt ging hier vor?
„Jasmin.“
Manfred Devot nahm sie an den Schultern und drehte sie zu sich um, verlangte von ihr ihn anzusehen.
„Ich glaube verstanden zu haben, was ich dir angetan habe, als ich Whisper fortbringen ließ. Ich habe es nicht besser gewusst. Gerne würde ich Whisper wieder zum Leben erwecken. Aber das geht auch für mich nicht. Dafür kann ich dir einen anderen Freund geben, der dir vielleicht irgendwann genauso viel bedeuten wird, wie dieses alte Pferd. Und den wird dir sicher niemand mehr wegnehmen. Schau …“
Damit küsste er sie kurz auf die Stirn, dreht sie wieder um und deutete Richtung Stalltür. In diesem Moment hörte sie, wie ein Pferd über den Stallboden trabte. Die Geräusche näherten sich der Tür und plötzlich kam er heraus. Schwarz wie die Nacht, gewaltig, schön, voller Leben und Elan. Und er sah nur sie. Erblickte sie sofort und sein erster Weg führte zu ihr. Er wölbte seinen schönen Hals, schnaubte. Das Tier verfiel in Schritt, schlug einige Male heftig mit dem Schweif und kam vorsichtig zögernd auf sie zu. Jasmin spürte den sanften Schubs nicht, den man ihr gab, damit sie sich bewegte. Ungläubig starrte sie auf den Wallach, auf die schwarze Masse, die sich auf sie zu bewegte. Hatte sie jetzt richtig verstanden, oder …
Irgendwie verzweifelt drehte sie sich kurz um, sah in die Augen des Mannes, den sie gestern noch verwünscht hatte. Ein „aber“ lag auf ihren Lippen, das sie aber nicht hervorbrachte.
„Geh nur“, forderte ihr Vater sie auf, „geh. Er gehört dir. Es gibt hier keinen, der nicht davon überzeugt ist, dass dieses Pferd dich ausgesucht hat. Mir fällt es schwer, an sowas auch nur andeutungsweise zu glauben, aber wenn ich ihn mir so ansehe, dann gilt dieser Blick dir allein, Jasmin.“
Das Mädchen wandte sich wieder um. Der schwarze Wallach war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt, war stehengeblieben. Er hatte seinen Kopf gesenkt und sah sie an. Es war jener Tom, den sie acht Stunden lang durch die Wildnis geführt hatte. Jener Tom, auf dem sie geritten war, nachdem sie Whisper versprochen hatte, es nie wieder zu tun. Der Tom, der sie mitten in der Nacht geholt hatte, als die Kids in Gefahr gewesen waren, und der sie zu ihnen gebracht hatte. Tom, der sie geführt, und der ihr gezeigt hatte, wieder zu vertrauen, der da gewesen war, als sie jemanden gebraucht hatte, der sie gestützt hatte, der …
Jasmin sah ihn an. Völlig ruhig stand er vor ihr, lediglich seine Nüstern bewegten sich kaum merklich bei jedem Atemzug. Diese Gestalt, die Ruhe, die von ihm ausging, das wache Auge … Langsam ging Jasmin auf ihn zu, streckte die Hand aus und berührte im Zeitlupentempo seine Nüstern. Sie bemerkte, wie er diese Berührung suchte, sich gegen ihre Finger schmiegte. Ihre Hand fuhr über die Nase, glitt die Stirn hinauf. So hatte sie Whisper in ihren Träumen berührt. Whisper … Jasmin trat noch einen Schritt auf Tom zu. Berührte ihn jetzt ganz leicht mit der zweiten Hand und dabei drehte Tom leicht seinen Kopf. Jasmin fing ihn ein. Sein Auge, seinen Blick. Sie spiegelte sich in diesem Auge, und während das Lid es schloss und wieder freigab, konnte sie es spüren, deutlicher als je zuvor. Tom war nicht Whisper, aber Whispers Seele wohnte mit in ihm und Whisper war bei ihr, so dicht wie noch nie.
„Jasmin.“
Der Klang dieser Stimme, weit entfernt und doch so nah, hallend und doch deutlich. Sie fuhr ein, berührte sie, traf ihr Herz und ihre Seele.
„Mein Teil ist getan, Jasmin. Ich kann nicht länger bei dir bleiben. Aber diesmal wirst du es auch allein schaffen. Du bist ein mutiges, starkes Mädchen und vergiss nie, wen du an deiner Seite hast. Dein Leben hat sich nicht nur für
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