Whisper (German Edition)
geraumer Zeit zu ihr aufsah.
„Du wirst in den nächsten Tagen in keinen Schuh passen“, bemerkte er ruhig, ohne den Blick abzuwenden. „Du hast deinen Beinen etwas zu viel zugemutet. Kinos Großvater versteht es, mit Kräutern zu heilen und den Schmerz abzulenken. Wenn Susanna es erlaubt, werde ich dich zu ihm bringen. In den nächsten Tagen werden Stefan, Kino, Kinsky, die Gruppe und ich unterwegs zur Nordweide sein, um die Rinder zur Ranch zu holen. Es wäre besser, wenn du nicht mitgehst und hierbleibst. Großvater würde sich über Gesellschaft freuen und deine Wunden könnten heilen, bis Kino wieder da ist.“
„Das ist eine gute Idee“, pflichtete ihm Susanna bei. „Morgen wollte ich mit Janina einkaufen fahren und wir hätten dich allein zurücklassen müssen. Die Idee, dich bei den Singing Birds unterzubringen, finde ich gar nicht so verkehrt. Glaubst du, du kriegst das hin?“
Jasmin ließ ihren Kopf weiter hängen, war Jaros Blick ausgewichen. Mit seinen harten, männlichen Zügen, der vom Wetter gegerbten Haut und den langen Haaren, nur leicht von einigen Strähnen zurückgehalten, die er hinten am Kopf irgendwie verknotet hatte, machte er auf sie einen unheimlichen Eindruck. Zudem glitzerten silberne Ohrringe in seinen Ohrläppchen, die in Jasmins Kopf das Wort „Pirat“ entstehen ließen. Natürlich war Jaro kein Pirat, aber seine Erscheinung war gerade heute ungewöhnlich, für sie irgendwie zu viel.
„He“, Kino stupste sie leicht an. „Du wirst Großvater mögen. Er ist witzig und mag junge Leute. In drei Tagen bin ich wieder da.“
Es dauerte eine Weile, aber dann kam ein zartes Nicken. Kino schenkte ihr ein liebevolles Lächeln und drückte sanft ihre Hand. „Ich helf dir auch beim Packen.“
Jaro und Susanna wechselten nur einen kurzen Blick und auch Stefan erkannte, dass er mit seiner Blödelei gar nicht so unrecht gehabt hatte. Da entstand gerade ein wenig mehr, als es einer normalen Freundschaft zuträglich war.
„Kino!“ Jaro war aufgestanden und bewegte sich schon Richtung Tür. „Hilf mir bitte den Pick Up abzuladen. Dann können wir los.“
Kino warf Jasmin noch einen kurzen Blick zu, den sie flüchtig erwiderte, und folgte seinem Vater hinaus. Auf der Ladefläche befanden sich noch einige Futtersäcke, nicht viele, leicht für jemanden mit etwas Kraft sie selbst abzuladen, doch Kino spürte, dass sein Vater ihm etwas sagen wollte.
„Du magst sie sehr, was?“, meinte dieser, als er den ersten Sack geschultert hatte.
„Vielleicht“, gab Kino zurück und sah seinen Vater verlegen von der Seite her an. Mit geübtem Griff schnappte er sich den nächsten Sack.
„Was heißt `vielleicht´?“ bemerkte Jaro. „Du bist über beide Schnurrhaare in sie verliebt und kannst es nicht verbergen.“
Kino schwieg und trug den Sack in die Futterkammer neben dem Stall. Dort öffnete er ihn und ließ den Maisbruch in eine Tonne laufen.
„Ich kann dich gut verstehen“, meinte sein Vater, als er hinter ihm den nächsten Sack öffnete. „Sie hat ein eigenes Wesen und die Mächte der Wildnis reagieren sehr sensibel auf sie. Großvater hat schon vor einiger Zeit gesagt, dass jemand kommen wird, der es schaffen sollte, so manche Seele zu beruhigen, die ihren Frieden nicht finden kann. Ich glaube, das ist sie und mit den Seelen sind jene Wesen gemeint, mit denen sie sich verbunden fühlt.“
„So wie mit dem Kitz“, fragte Kino und rüttelte an der Tonne, damit sich das Getreide besser verteilt.
„So wie mit dem Kitz, dem Kalb. Oder auch …“
„Mit Whisper!“
„Mit was?“
Kino zögerte und ging hinter seinem Vater wieder hinaus.
„Das ist eine andere Geschichte, vergiss es.“
„Sie hat mit dir gesprochen!“ Jaro war wieder bei dem Fahrzeug und holte sich den nächsten Sack. Kino starrte ihn kurz an.
„Ja, hat sie“, gab er nach einigem Zögern zu. „Ist es schlimm … ich meine … schlimm, wenn ich mich in sie verliebe?“
Jaro hielt kurz inne und ein Lächeln begann seinen Mund zu umspiegeln.
„Du bist knapp über zwanzig Jahre alt. Sie ist sechzehn. Ist es dir ernst, dann steh dazu, auch wenn sie wieder nach Hause fliegt. Der Weg ist holprig, von Hindernissen gesäumt. Dauerhaft wird eine Liebe über die weite Strecke kaum funktionieren, aber wenn ich den Mächten trauen darf, dann haben sie noch ganz andere Dinge vor. Jasmin ist nie hergekommen, um wie die anderen Jugendlichen neu erzogen und geformt zu werden. Ihre Bestimmung war und ist eine
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