Whisper (German Edition)
den anderen reden zu wollen.“
Stefan legte ihm zuversichtlich und leicht nickend die Hand auf die Schulter.
„Du solltest trotzdem mit Kinsky darüber sprechen. Wenn jemand über den Unfall Bescheid weiß, dann er. Habt ihr im Wald etwas gefunden?“
Kino nickte.
„Kann man wohl sagen. Ich werde rein gehen. Dan wird bestimmt in den nächsten Tagen einen Trupp einberufen, der beim Aufstöbern von Fallen hilft. Wir haben heute eine Bärenfalle entschärft und wieder einen toten Bären gefunden. Enthauptet und ausgeweidet. Da draußen liegen bestimmt noch mehrere Fallen rum, die jederzeit zuschnappen könnten. Wird Zeit, dass wir den Wilderern das Handwerk legen. Dad hat heute ein angeschossenes Kalb nach Hause gebracht. Die Typen sind frech, dreist und brutal.“
„Drinnen erwartet man dich bereits. Ich kümmere mich um die Pferde und sehe dann nach Jasmin, und sollte sie etwas brauchen, erfährst du es zuerst.“
Dafür knuffte ihn Kino in die Seite.
„Das ist nicht witzig“, konterte dieser, während er schon zum Haupthaus unterwegs war.
„Für mich schon“, rief ihm Stefan nach, „weil man es nicht alle Tage erlebt, wenn sich sein bester Freund verliebt.“
Kino wuchtete sich im Lauf noch schnell herum, machte eine wegwerfende Handbewegung, sprang die Stufen zur Veranda hoch und war wenige Augenblicke später verschwunden.
Lächelnd blieb Stefan zurück. Das war es, was ihn vor fünf Jahren so sehr an Kanada und Six Soul fasziniert hatte. Dieses befreite Dasein, fern vom Stress des Alltags, inmitten der rauen Wildnis, die neben ihren gefährlichen Seiten auch etwas Ruhiges und Zufriedenes hatte, mit einem Freund, der ihn noch das spüren ließ, was in seiner Welt gänzlich verloren gegangen war. Respekt vor seiner Heimat, ohne die er nicht existieren konnte.
7
J asmin hatte schnurstracks das Gästezimmer aufgesucht und die Tür hinter sich verschlossen. Sie war unkonzentriert, als sie sich umziehen wollte, und hätte vor Schmerz fast aufgeschrien, als sie ihre Schuhe abstreifte. Solange sie in den Dingern steckte, ließen sich die Schmerzen einigermaßen ertragen, stumpften ab und waren kaum fühlbar. Doch jetzt, wo sie sich ihrer Schuhe entledigte, fiel ihr auf, wie zerschunden ihre Füße waren. Die Blasen, die schon am Vortag blutigen Schmier hinterlassen hatten, sahen nicht wirklich besser aus. Überall war die Haut zerkratzt, aufgeworfen und offen. Im Ganzen waren beide Füße angeschwollen, was sie aber durch die Schuhe nicht wirklich gespürt hatte. Jetzt bemerkte sie die Abdrücke und wusste auch, ohne es abzuwarten, dass sie morgen in keinen vernünftigen Schuh mehr passen würde. Da mussten wohl diese ganz leichten Stoffturnschuhe herhalten, die sie sich eigentlich mehr für drinnen als für draußen gekauft hatte. Zischend saugte sie die Luft in ihre Lungen, als sie nach den Verletzungen griff. Verdammt, sie hätte vielleicht etwas früher reagieren sollen.
Leise wagte sie sich in das kleine Badezimmer, stellte sich unter die Dusche und ließ das lauwarme Wasser über ihre Füße laufen. Es brannte auf der Haut und Jasmin biss die Zähne zusammen. Fürsorglich hatte sich Susanna heute Vormittag um sie gekümmert, ihr sogar eine Salbe dagelassen, um ihre Wunden damit zu pflegen. Warum war sie nur so dumm gewesen, darauf zu verzichten? Beinhart war sie wieder in ihre Schuhe gestiegen, hatte sie verschnürt und gehofft, dass der Schmerz nachlassen würde. Nun, bis jetzt hatte es funktioniert … Vorsichtig trocknete sie sich schließlich ab, schlüpfte in einen Jogginganzug und glitt barfuß wieder in ihr Zimmer. Auf dem Bett sitzend, versuchte sie die Wundränder abzutupfen und wischte vorsichtig über jene Stellen, die wieder zu bluten begonnen hatten. Dabei schoben sich ihre Ärmel hoch und der Blick auf ihre Narben wurde frei. Jasmin hielt kurz inne und betrachtete das, was noch übrig war. Dünne Handgelenke und deutliche Operationsspuren. Eigentlich musste sie dankbar sein, ihre Arme, Hände und Finger überhaupt noch bewegen zu können. Man hatte an ihr wirklich ein Meisterwerk medizinischen Könnens vollbracht. Deutlich konnte sie sich erinnern, wie sie geflogen war. Gegen eine … nein, sie wollte nicht mehr darüber nachdenken. Nie wieder. Es war vorbei, und würde nicht mehr wieder passieren.
Jasmin schloss für einen Moment die Augen und ballte die Fäuste. Sie konnte es, konnte jeden einzelnen Finger bewegen, konnte greifen, konnte so vieles, was ihr verwehrt
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