Whisper Island (01) - Sturmwarnung
den er nie erwartet hätte: Misstrauen. »Nein, Grandpa, ich habe sie nicht verkauft.« Aber seine Stimme klang angespannt und er wusste, dass er sich jetzt defensiv anhörte. »Ich habe sie für einen Freund gebraucht. Du bekommst sie zurück.«
»Es sieht dir nicht ähnlich, dir Sachen zu borgen, ohne mich zu fragen«, bemerkte Ralph. »War ich hier, als du die Sachen mitgenommen hast?«
»Nein!«, log Seth. »Ich hätte dich gefragt, wenn du da gewesen wärst. Ein Junge, den ich kenne, hat ’ne Zeit lang bei verschiedenen Freunden auf der Couch geschlafen. Aber er hatte jetzt alle durch und wusste nicht, wohin. Deshalb hab ich gedacht, er könnte die Sachen gebrauchen. Ich weiß, wo er ist. Du bekommst alles zurück.«
Ralph schwieg, aber Seth erkannte an der Art, wie sein Großvater die Mundwinkel hängen ließ, dass er nicht nur an ihm zweifelte, sondern auch dachte, dass Seth die Ausrüstung wirklich verkauft haben könnte, obwohl er das Gegenteil beteuerte. Es konnte nur einen Grund geben, warum Ralph zu diesem Schluss gekommen war: Drogen.
Seth hatte nie Drogen genommen und sein Großvater sollte das wissen. Aber Tatsache blieb nun einmal, dass er in der Vergangenheit mit Sean Grieder befreundet gewesen war und Sean Grieder jetzt wegen Meth und ein paar anderen Dingen im Gefängnis saß. Und das allein kam einer Verurteilung gleich.
Seth wollte losbrüllen: Er hat mir Schach beigebracht! Er hat mir keine Drogen angedreht! Aber in den Augen aller anderen machte ihn seine Freundschaft mit Sean ebenso schuldig. Seth hatte Sean gekannt, und genau wie Sean hatte er die Schule abgebrochen. Alle zogen ihre Schlussfolgerungen daraus. Außer seine Eltern. Außer sein Großvater. Bis jetzt.
Seth hatte das Gefühl, als reiße ihm etwas die Brust auf. Er sagte: »Na dann.«
»Und was soll das jetzt heißen?«, fragte Ralph.
»Nur ›na dann‹. Bis später.«
»Du bist doch wegen was Bestimmtem vorbeigekommen, oder? Also, was ist los?«
»Ich wollte nur reden. Aber das haben wir ja schon getan.«
»Seth …« Die Stimme seines Großvaters war jetzt freundlicher, aber Seth wollte keine Freundlichkeit von ihm.
Er ging zur Tür, machte sie auf und trat aus der Werkstatt, aber Gus folgte ihm.
»Bleib, Gus«, sagte er, doch der Hund gehorchte ihm nicht. Stattdessen sprang er an ihm hoch, als bitte er Seth, zu bleiben, mit ihm zu spielen und sein allerbester Kumpel zu sein. Als Seth anfing, davonzumarschieren, trottete ihm Gus unbeirrt hinterher. Seth steuerte auf den Weg zu, der zu seinem Auto führte, und Gus sauste an ihm vorbei. Am Ende des Wegs sprang der Labrador voller Eifer hoch und Seth stolperte nach hinten und verlor beinahe den Halt. »Nein! Nein! «, rief er und stieß Gus weg.
Gus gab ein überraschtes Kläffen von sich. Dann stand Ralph an der Tür der Werkstatt und befahl scharf: »Gus. Komm.«
Der Hund gehorchte sofort.
K APITEL 31
Becca hatte gedacht, die Nacht im Dog House zu verbringen, würde das Schlimmste sein. Aber den Unterricht zu verpassen, um dem Sheriff während seiner Suche nach Laurel Armstrong nicht in die Arme zu laufen, war viel schlimmer. Sie hatte alle ihre Bücher dabei und versuchte, das nachzuarbeiten, von dem sie glaubte, dass sie es gerade in der Schule durchnahmen. Aber Mathe war der Horror, und für ihre Jahrbuch-Klasse konnte sie alleine sowieso nichts machen.
Obwohl Seth ihr Campingessen mitgebracht hatte, wollte sie den Gaskocher lieber nicht benutzen, weil sie Angst hatte, einen Brand zu verursachen. Deshalb fuhr sie immer frühmorgens, wenn es noch dunkel war, zum Star Store , wenn Seth dort arbeitete. Aber nachdem sie sich ein paarmal etwas zu essen gekauft hatte, ging das wenige Geld, das Debbie Grieder ihr für ihre Arbeit im Motel gegeben hatte, langsam zur Neige. Bald würde sie es komplett ausgegeben haben und dann hätte sie nur noch ihr Erspartes aus San Diego, das sie vorerst noch nicht anrühren wollte. Sie hatte keine Ahnung, was sie dann tun sollte, außer sich von den Speiseresten zu ernähren, die Seth ihr überlassen würde, so wie am ersten Morgen, als sie sich kennengelernt hatten.
Anfangs hatte Becca gedacht, dass sie ohne die AUD-Box in der Lage sein würde, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden, wenn sie mit Seth zusammen war, und so herausfinden konnte, was es mit dem Fußabdruck auf sich hatte, den sie an der Stelle gefunden hatte, wo Derric gestürzt war. Aber in Seths Kopf ging es nie um die Saratoga Woods, und erst recht nicht um seine
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