Whisper Island (01) - Sturmwarnung
wusste.
»Okay, Seth?«, fuhr sie fort. »Hör einfach auf.«
»War doch nur eine freundliche Frage«, erwiderte er. »Du wolltest doch, dass wir Freunde bleiben.«
»Du weißt doch gar nicht, was das heißt«, entgegnete sie.
»Oh, das hat wehgetan, Mädel«, sagte Dylan Cooper. Er und seine Kumpels hatten sich zusammengerottet und tuschelten kichernd miteinander. Dabei redeten sie sich mit diversen Schimpfwörtern an.
»Schnauze!«, rief Seth in ihre Richtung.
»Oh Mann, ey, jetzt krieg ich aber echt Angst.«
»Halt die Klappe«, sagte Hayley. »Und geh einen Joint rauchen.«
»Nur wenn du mitrauchst«, sagte Dylan.
Darüber lachten die anderen laut.
Seth fasste Hayley am Arm und sagte: »Was machst du hier ganz alleine, Hayley?«
»Und was machst du hier ganz alleine?«, entgegnete sie.
»Ich bin nicht alleine. Gus ist im Auto.«
»Oh, verzeih, dass ich keinen Hund habe, mit dem ich in den Wald gehen kann!«
»Vor allem: Wie bist du hergekommen? Wo ist euer Wagen? Bist du von der Keller Road gekommen?« Eigentlich ging ihn das nichts an, aber irgendwas stimmte hier nicht.
»Wenn du es unbedingt wissen willst«, antwortete sie, »der Wagen ist am Eingang von den Metcalf Woods. Und da bin ich hergekommen. Bist du jetzt zufrieden?«
»Am Metcalf-Eingang?« Seth hätte am liebsten gesagt: Meinst du den mit dem großen Schild, auf dem steht Parken verboten ? Und dass man sein Fahrzeug an der Keller Road abstellen soll, wenn man in den Wald will? Und wo man seinen Wagen wunderbar verstecken kann, damit keiner, der vorbeifährt, ihn sieht? Den Eingang meinst du, Hayley? Aber das sagte er nicht, denn bei der Vorstellung, dass Hayley noch mehr vor ihm verheimlichen könnte, als er dachte, wurde ihm ganz mulmig zumute. Deshalb wiederholte er bloß: »Am Metcalf-Eingang? Warum hast du denn da geparkt?«
Sie antwortete: »Meine Güte, Seth, was spielt das für eine Rolle?«, womit sie eigentlich meinte: Was geht dich das eigentlich an?
Er wollte anfangen, mit ihr zu diskutieren, aber in dem Augenblick fuhr der Wagen des Sheriffs auf den Parkplatz. Als sie ihn sahen, verzogen sich die Kiffer schnell in den Wald. Ein Polizist stieg aus und beobachtete ihre Flucht. Er zog eine Sonnenbrille aus der Brusttasche seines Hemds und blinzelte dorthin, wo der Krankenwagen über die Wiese gefahren war, bevor er die Brille aufsetzte. Er kam auf Seth und Hayley zu.
»Hast du den Krankenwagen gerufen?«, fragte er Hayley.
Und Hayley sagte: »Ich hab niemanden gerufen.«
»Macht mal eure Jackentaschen leer. Und zeigt mir, was in euren anderen Taschen ist.«
»Was soll das?« Seth wusste genau, was der Polizist wollte. Becca hatte wohl ein Handy benutzt, um den Krankenwagen zu rufen. Er stellte sich dumm. »Was soll sie denn bei sich haben?«, fragte er. »Ist das eine Drogenrazzia, oder was? Kommen Sie schon, Mann. Lassen Sie sie in Ruhe.«
»Schon gut«, sagte Hayley und reichte dem Deputy ihre Tasche. »Aber ich verstehe nicht …«, wollte sie weitersprechen.
»Lassen Sie sie in Ruhe«, sagte Seth erneut. »Sie hat nichts getan.«
Der Deputy sah ihn an. Seine Brillengläser waren zu dunkel, als dass Seth seine Augen sehen konnte, aber sein Mund war ein schmaler Strich, als wäre er mit einem Lineal gezeichnet worden. Diesmal klang Hayley vorsichtiger. »Schon gut, Seth.«
Sie wartete, bis der Deputy fertig war, der ein Handy suchte, das sie natürlich nicht hatte. Hayley besaß nicht einmal ein Handy. In ihrer Familie wäre das ein Luxus gewesen.
Der Polizist durchsuchte die Tasche und gab sie ihr dann zurück. Er sagte zu ihnen: »Ihr bleibt hier«, und lief über die Wiese.
Irgendwann kamen die Sanitäter mit Mrs Kinsale, die hinter ihnen herlief, aus dem Wald. Zwischen ihnen trugen sie eine Trage. Daran war eine Stange mit einem Tropf befestigt, und als die Sanitäter ihren Patienten in den Krankenwagen laden wollten, kam der Deputy zu ihnen und sie unterhielten sich.
Was dann passierte, war sehr seltsam. Der Junge wurde in den Krankenwagen geschoben und ein Sanitäter stieg hinten mit ein. Der andere stieg auf den Fahrersitz, aber anstatt den Wagen zu starten, wartete er. Der Krankenwagen fuhr nicht los. Das hieß entweder, dass der gestürzte Junge tot war und man sich deshalb nicht mehr beeilen musste, oder dass er so schwer verletzt war, dass sie einen Hubschrauber bestellt hatten, weil man ihm die lange Fahrt bis zum Krankenhaus in Coupeville, bei der man die halbe Insel überqueren musste, nicht
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