Whisper Island (01) - Sturmwarnung
den Sanitätern den Weg, wenn sie kommen.«
Sie lief zu ihrem Geländewagen und sperrte die Hunde darin ein. Dann rannte sie auf den Weg am Wiesenrand zu.
Ein paar Minuten später waren die Sirenen des Krankenwagens zu hören. Ihr Geheul schreckte andere Leute auf, die sich im Wald aufhielten, und nach und nach kamen sie alle heran. Kinder kamen von einer alten, überwucherten Landebahn zurück, die früher mal ein Architekt hatte anlegen lassen, weil er hier Häuser für reiche Leute bauen wollte, die am Wochenende mit dem Flugzeug auf die Insel kommen sollten. Die Kiffer aus dem Dorf kamen von einem Felsen heruntergeklettert, der so groß wie ein Haus und tief im Wald eingegraben war. Vermutlich war er in der Eiszeit von einem Gletscher von Alberta in Kanada bis hierher getragen worden. Wanderer kamen aus den Putney Woods herüber, die einen gewundenen Pfad, der durch mehrere Hektar Rebhuhnbeergestrüpp, Farn, Brombeerbüsche und Tannen führte, mit den Saratoga Woods verbunden wurde.
Darunter war auch Jenn McDaniels, die aus dem Wald gerannt kam. Sie war von oben bis unten nass geschwitzt und trug ihre Sportsachen, weil sie für den Insel-Triathlon trainierte. Sie lief und fuhr Fahrrad im Wald, und das wusste Seth. Aber normalerweise tat sie das viel näher bei sich zu Hause, und zwar auf dem südlichen Teil der Insel. Deshalb verstand er nicht, was sie hier wollte. Das galt auch für das Mädchen, das jetzt von rechts aus dem Wald gelaufen kam.
Das Mädchen war Hayley Cartwright. Sie wohnte weit von diesem Wald entfernt. Und der Lieferwagen der Cartwrights stand nicht mal auf dem Parkplatz. Wie war sie also überhaupt hierhergekommen? Und was machte sie hier?
Seth hatte keine Gelegenheit, sie zu fragen. Er sah sie zwar an, aber sie schaute weg und ihre Gesichtsfarbe verriet ihm, dass sie gerade mehr vor ihm verheimlichte als an dem Tag, als sie mit ihm Schluss gemacht hatte. Sie konnten nicht miteinander sprechen, weil Jenn als Erste bei ihm war und fragte: »Was ist los?«, während die Kiffer hinter ihr angeschlendert kamen.
»Ein Junge ist gestürzt«, antwortete er.
»Krass, Alter«, sagte ein Kiffer. »Und wer bist du ? Der Nachrichtenmann?«
Ein anderer kicherte und Seth drehte sich zu ihm um. Sie waren total high und grinsten bis über beide Ohren. Er sagte zu Jenn: »Der Krankenwagen ist unterwegs«, was eigentlich nicht zu überhören war. »Mrs Kinsale ist oben bei ihm. Ich warte, um denen zu zeigen, wo sie langmüssen.«
»Ah, jetzt weiß ich’s: Du bist der Verkehrspolizist!«, gluckste einer.
»Bin schwer beeindruckt«, sagte ein anderer.
»Halt die Klappe, Dylan«, fuhr Jenn ihn an, »und kriech zurück in deine Höhle.«
»Oh, jetzt hab ich aber Angst«, sagte Dylan.
»Schluss jetzt, Jungs«, sagte Hayley. Dabei sah sie ihn nicht an. Die Erinnerung an ihre Trennung war noch frisch und schmerzhaft. Sechs Wochen zuvor hatte sie ihn mit einem anderen betrogen. Er hätte damit rechnen müssen, aber er hatte es nicht getan. Er hätte clever genug sein müssen, um einzusehen, dass es niemals mit ihnen klappen würde, aber das war er nicht gewesen.
Da bog der Krankenwagen von der Saratoga Road in den Parkplatz ein. Seth ging auf ihn zu, während der Wagen Kies und Staub aufwirbelte. Ein Sanitäter stieg aus und Seth schilderte ihm kurz und knapp die Situation. Er zeigte über die Wiese, dorthin, wo der Wanderweg begann, der von ihrer Position aus nur undeutlich zu erkennen war. Der Sanitäter nickte und stieg wieder in den Krankenwagen ein, der dann quer über die Wiese fuhr. Am Waldrand hielten sie an. Mit einem Koffer voller medizinischer Geräte und einer Trage liefen sie los.
Jenn lief ihnen neugierig hinterher. Auch ein paar von den Leuten, die aus dem Wald gekommen waren, folgten ihnen. Die Kiffer blieben, wo sie waren. Ebenso Seth, denn Hayley hatte sich auch nicht von der Stelle bewegt, und er wollte mit ihr reden. Es war seltsam, dass sie hier ganz alleine in den Saratoga Woods war. Und obwohl Seth wusste, dass es ihn nichts anging, hatte er doch eine Begabung, sie zum Sprechen zu bringen, und die würde er nutzen.
»Und, Hayley?«, sagte er. »Bist du immer noch zusammen mit …«
»Hör auf.« Sie hatte zugesehen, wie der Krankenwagen weggefahren war und die Leute hinter ihm herliefen. Sie drehte sich zu Seth um. Er hatte nur den einen dummen Gedanken: Wie hübsch sie war. Dass sie schon immer hübsch gewesen war. Und das Netteste an ihr war, dass sie das selbst nicht
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