Whisper Island (01) - Sturmwarnung
dabei ihr Gesicht in den Händen, und Hayley umfasste seine Hüften.
Und das sah Seth, aber er stellte sie nicht sofort zur Rede. Stattdessen rauschte er ab, und sie wusste zunächst gar nicht, dass er überhaupt da gewesen war. Später am Abend brachte Derric sie zu ihrem Wagen auf dem Parkplatz. Sie standen noch eine Weile davor und unterhielten sich und dann küssten sie sich noch einmal, und das gefiel ihr. Aber das war alles. Es machte ihr Spaß, Derric zu küssen. Mehr nicht.
Sie wusste nicht, dass Seth sie von seinem VW aus beobachtete. Sie hörte, wie ein Wagen startete und zu ihnen heranfuhr. An Seth hatte sie in diesem Augenblick überhaupt nicht gedacht. Aber dann hörte sie seine Stimme: »Gut gemacht, Hayl«, und Seth warf Derric einen bitterbösen Blick zu. Dann ließ er den Wagen aufheulen und fuhr weg.
Am nächsten Tag rief sie bei ihm zu Hause an und bat seine Mom, ihm zu sagen, dass er sie zurückrufen solle. Als er das nicht tat, versuchte sie es noch drei Mal. Und tatsächlich erwischte sie ihn beim dritten Mal. Er lag noch im Bett und Hayley bat Seths Mutter, ihn zu wecken. Als er endlich ans Telefon ging, fragte sie ihn: »Ist Schluss? Oder was soll das alles?« Und er antwortete auf seine typische, lakonische Art: »Du kannst mich mal, Hayley.«
Was für ein bescheuerter, blöder, bekloppter, geisteskranker Idiot , war ihre erste Reaktion. Schön, sie hatte Derric Mathieson geküsst. Es hatte ihr gefallen. Und wenn es sich ergäbe, würde sie ihn vielleicht wieder küssen. Na und? Was war schon dabei? Aber Seth ließ es sich ja noch nicht einmal erklären.
Wenn das so war, sagte sie sich, war er es nicht wert, dass sie überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendete. Um sich abzulenken, stürzte sie sich in den Unterricht und fand Trost in der Jazzband, in der Blaskapelle und in der gemeinsamen Zeit mit Derric. Sie waren kein Liebespaar, sondern nur gute Freunde und unterhielten sich die meiste Zeit über Uganda und darüber, woran er sich dort noch erinnern konnte. Und das hatte einen bestimmten Grund: Hayley wollte später für das Friedenskorps in Afrika arbeiten.
Ihre Mutter war alles andere als begeistert von der Idee. Ihr Vater wusste nicht einmal davon. Sie hatten genug andere Sorgen und keine Zeit, darüber nachzudenken, wo Hayley hingehen würde, sobald sie alt genug war. Und ihr Vater war die größte von allen Sorgen. Also weigerte sich ihre Mutter, mit ihr darüber zu sprechen. So sah das Leben auf der Cartwright-Farm aus. Es gab so viel, über das nicht gesprochen wurde, dass sie sich die meiste Zeit nur noch über das Wetter unterhielten oder darüber, wer was auf der Farm machte, um den Betrieb eine weitere Woche aufrechtzuerhalten, während man so tat, als wäre alles in bester Ordnung.
Hayley war dies alles so leid. Seth wusste natürlich nichts davon. Und kurz bevor sie ihm im Krankenhaus von Coupeville über den Weg lief, hatte sich die Situation bei ihr zu Hause noch weiter verschlechtert.
Sie waren nicht mehr zusammen, also ging es ihn überhaupt nichts an, warum sie hier war, und darüber wollte er wahrscheinlich mit ihr sprechen. Also nahm sie sich vor, ihm zu sagen, dass es schließlich aus sei zwischen ihnen und er sie nicht zur Rede zu stellen habe, wenn sie nach Coupeville ins Krankenhaus fahren wolle. Aber wie sich herausstellte, wollte er mit ihr über den Vorfall in den Saratoga Woods sprechen, weil sie ihm erzählt hatte, sie habe den Wagen am Eingang zu den Metcalf Woods geparkt, wo man eigentlich gar nicht parken durfte. Außer man hatte einen Grund dazu, zum Beispiel, weil man nicht gesehen werden wollte.
Seth spielte darauf an, was jeder wusste. Von den Metcalf Woods zu den Saratoga Woods zu gelangen, war nicht so leicht. Man musste sich schon genau auskennen oder eine Karte dabeihaben. Jedenfalls würde kein vernünftiger Mensch diesen Zugang ohne Grund wählen.
Also fragte Seth sie an jenem Nachmittag: »Warum hast du euren Wagen bei den Metcalf Woods geparkt? Du hast dich dort mit ihm verabredet, richtig? Warum macht ihr so ein großes Geheimnis daraus? Es weiß doch sowieso jeder Bescheid.«
»Ich habe keine Geheimnisse, Seth«, antwortete sie schnippisch und natürlich war das eine glatte Lüge.
So fing ihr Streit an. Erst ging es um Derric, dann um die Tatsache, dass Seth die Schule abgebrochen hatte, und schließlich darum, dass Seths Großvater ihm den Hund weggenommen hatte. Hayley warf ihm vor, dass er sich nicht einmal bemüht hatte,
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