Whisper Island (01) - Sturmwarnung
Stadt.
Als sie beim Friedhof ankam, stellte Becca ihr Fahrrad am Rand des Hauptweges ab. Sie lief kreuz und quer um die alten Grabmäler und Grabsteine herum und suchte das Grab von Reese Grieder auf. Es war mit Ahorn- und Platanenblättern bedeckt. Becca setzte sich auf einen Haufen Laub und lehnte sich an den Grabstein.
Sie nahm die AUD-Box aus ihrem Rucksack und inspizierte sie genauer. Die Rückseite war zerbrochen und musste ersetzt werden. Im Innern der Box waren drei Drähte abgerissen, die wieder gelötet werden mussten. Der Kopfhörer war intakt, aber der Arbeitsaufwand, der nötig sein würde, um das Gerät wieder funktionstüchtig zu machen, erschien einen Moment lang unermesslich groß. Becca seufzte, warf die AUD-Box neben sich ins hohe Gras und legte den Kopf auf ihre angezogenen Knie.
Ihr war einfach völlig schleierhaft, warum Jenn McDaniels sie so hasste. Schließlich hatte Becca ihr nichts getan. Sie versuchte doch nur, auf Laurels Rückkehr zu warten und in der Zwischenzeit weiter auf die Schule zu gehen und Becca King zu sein, die ganz anders war als das Mädchen, das San Diego und alle ihre Freunde verlassen hatte, um Jeff Corrie zu entkommen. Aber jetzt, da Derrics Vater Laurels Namen kannte, wusste Becca nicht, was ihr noch alles bevorstand.
Was sie jetzt wirklich brauchte, war jemand, mit dem sie über all das und insbesondere über Jenn McDaniels reden konnte. Sie bemühte sich, dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen, aber da kam ihr nur eine Sache in den Sinn: Wenn Sheriff Mathieson auf Laurels Spur war, spürte er sie vielleicht tatsächlich auf, brachte sie nach Whidbey Island und beschützte sie und Becca vor Jeff Corrie. Aber natürlich nur, wenn sie ihm die ganze Wahrheit erzählten und er ihnen auch glaubte. Andererseits könnte er jetzt, da er Laurels Namen kannte, auch einfach nach San Diego fahren und Jeff Corrie ausfindig machen oder ihn anrufen und sich bei ihm nach Laurel erkundigen. In diesem Fall würde Corrie wissen wollen, warum ein Sheriff aus dem Bundesstaat Washington ihn wegen seiner flüchtigen Frau anrief. Wenn das passierte, würde Jeff Corrie irgendwann auf Whidbey Island auftauchen. Und dann würde er sie finden. Vielleicht würde er erst einmal eine Weile nach ihr suchen müssen, aber früher oder später würde er sie finden. Becca wusste, dass er nicht eher ruhen würde, als bis er sie aufgespürt und unschädlich gemacht hatte.
Alles erschien Becca düster und trostlos. Alles erschien ihr aussichtslos. Sie drehte sich um und betrachtete Reese Grieders Grabstein, als könnte sie darauf ein paar Antworten finden.
Arme Reese, dachte sie. Ihr Grab war ein trauriger Anblick. Der Stein war mit Flechten überwachsen, ihr Foto war angeschimmelt, weil der Rahmen einen Sprung hatte, und auf dem Grab selbst wucherte Unkraut. Es war alles so trist. Es war ungerecht, dass man Reese so im Stich und in Vergessenheit geraten ließ.
Becca entfernte das Laub von der Grabstätte und fing an, das Unkraut zu jäten. Als sie damit fertig war, kramte sie ihr Lineal aus dem Rucksack und schabte damit die Flechten ab. Becca war gerade eifrig bei der Arbeit, als eine Hand sie an der Schulter berührte. Sie schrie auf. Diana Kinsale machte einen Satz nach hinten und drückte sich die Hand aufs Herz. Sie sagte: »Grundgütiger! Entschuldige.«
Becca blickte hinter Diana und sah, dass ihr Pick-up auf der anderen, neueren Seite des Friedhofs, nicht weit vom Grab ihres Mannes, geparkt war.
»Ich hab sie heute zu Hause gelassen«, erklärte Diana und meinte die Hunde. »Ich wollte nur Charlie Hallo sagen.« Sie blickte auf Reese Grieders Grab hinunter. »Machst du es sauber? Das ist sehr nett von dir.«
»Es hat irgendwie traurig ausgesehen.«
»Ein oder zwei Blumen wären nicht schlecht«, erwiderte Diana. »Ein bisschen Grünzeug könnte auch nicht schaden, wenn du es in den Blumenhalter steckst. Soll ich dir ein wenig von dort drüben holen?« Sie machte ein paar Schritte in Richtung der Bäume am Rand des Friedhofs, wo reichlich Farne wuchsen. Aber so steuerte sie direkt auf die AUD-Box zu und Becca schrie: »Halt!«
Diana schaute überrascht. Becca sprang auf und hob die AUD-Box vom Boden auf, wo sie halb verborgen zwischen hohen Grasbüscheln gelegen hatte.
»Ist das deins?«, fragte Diana, nahm ihr das Gerät ab und drehte es in der Hand, sodass sie den von Jenn angerichteten Schaden sehen konnte. »Was ist das?«
Becca erklärte ihr, was sie über ihr angebliches
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