Whisper
Er war alles andere als ein gut aussehender Mann, aber er hatte einen eigenartigen Charme, etwas kindlich Naives ging von ihm aus, das ihn anziehend machte.
»Und natürlich für Noa!«, fügte er mit gesenkter Stimme hinzu. »Meine Mutter hat mir erzählt, dass du David gerufen hast. Danke! Danke, Noa!«
Esther hinter dem Tresen nickte wieder, auf ihren schmalen Lippen lag ein unentschlossenes Lächeln. Ihr spitzwangiges Gesicht schien Noa beinahe transparent, die faltenlose Haut war hell und straff wie eine geglättete Butterbrotttüte und ihre Augen waren ohne Glanz. Wie ein Mensch, den das eigene Leben im Stich gelassen hat, dachte Noa.
»Ich hätte gerne eine Apfelschorle«, sagte sie zu Gustaf, der immer noch dastand und sie anlächelte. Noa schlüpfte auf den freien Platz neben Kat.
Kat bestellte einen Schnaps und Gilbert ein Glas Wein, von dem er jedoch nur angeekelt nippte. Vor den beiden standen leer gegessene Teller, auf dem von Kat lagen noch Pilze, anscheinend hatte diesmal sie die Pilzpfanne bestellt.
»Was ist denn da draußen passiert?«, flüsterte Gilbert Noa hinzu, aber die kam nicht dazu, seine Frage zu beantworten, weil Kat jetzt wieder alle Aufmerksamkeit an sich riss.
Sie erzählte von den Dreharbeiten, von der Mordszene, die sie ein Dutzend Mal hatten proben müssen – und schließlich vom Dachboden in ihrem Haus und all den alten Sachen, die sie und Gilbert dort oben entdeckt hatten.
»Ach«, sagte Gustaf, der sich mit einem Glas Korn zu ihnen an den Tisch gesetzt hatte. »Ach. Ich dachte, der Speicher … wäre leer?«
»Nein«, sagte Kat. »Das war er keineswegs. Das Zeug da oben gehörte unseren Vormietern, so hat es mir heute Morgen jedenfalls der Bauer erzählt. Er sagte, er hätte das Haus schon damals möbliert, aber unsere Vormieter hatten offensichtlich eine andere Vorstellung vom Landleben. Sie brachten ihre eigenen Möbel mit und schafften Hallscheits Krempel auf den Speicher, bis auf den Spiegel in Noas Zimmer und das Bücherregal im Flur. Tja. Und nach ihrem Auszug hat Hallscheit die Einrichtung dann wieder ausgetauscht; hat seine Möbel nach unten und die der Vormieter auf den Speicher geschafft.«
Gustafs runde Augen weiteten sich. »Das hat Hallscheit Ihnen alles erzählt?«
Kat musste lachen. »Na ja«, sagte sie und wickelte eine Locke um ihren Finger. »Ich musste schon ein bisschen nachhelfen, ihm die Worte aus der Nase ziehen, wie man so schön sagt. Aber schließlich mieten wir jetzt das Haus und haben ja wohl ein Recht darauf, ein wenig von seiner Vergangenheit zu kennen. Ich habe Hallscheit natürlich auch gefragt, warum die Vormieter ihre Sachen nie abgeholt haben, aber das konnte er mir auch nicht verraten. Wie auch immer, ich würde jedenfalls denken, nach dreißig Jahren ist die Abholfrist vorbei, was meinen Sie?«
Gustaf nickte. »Ja, ja, das … das könnte man meinen.«
»Wir könnten natürlich«, Kat warf Gilbert einen Blick zu, »diese Leute mal anrufen und fragen, bevor wir da oben ausmisten. Der Bauer hatte keine Adresse, aber er hat mir den Nachnamen genannt, irgendwas mit Stein…«
Kat zog die Stirn in Falten.
»Steinberg«, sagte Noa. »Die Leute hießen Steinberg und ihre Tochter hieß Eliza.«
Noa hatte nicht besonders laut gesprochen, aber ihre Worte hatten eine seltsame Wirkung.
Für einen kurzen Augenblick war es still in der Kneipe. Marie hielt beim Spülen der Gläser inne, an einem der Tische hustete jemand, als hätte er sich verschluckt, und gleich darauf stand einer der Männer auf. Es war nicht die Art, wie er die Münzen auf den Tisch warf, die Noa beunruhigte. Es war sein Aussehen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass es derselbe Mann war, der an ihrem ersten Abend diesen blöden Spruch mit dem Muttertag losgelassen hatte. Das brandrote Haar, der breite Unterkiefer. Er sah aus wie Dennis in groß. Nur die Augen waren anders, der Blick war eher stechend als dumpf und beim Gehen zog er ein Bein nach, als wäre es kürzer als das andere. Bevor der Mann die Kneipe verließ, sah er zu Marie, die blass geworden war.
»Mach’s gut, Thomas«, rief ihm einer der Männer an Noas Nachbartisch hinterher.
Noa sah, wie Esther Marie ihre Hand auf die Schulter legte und wie Gustaf mehrere Male hintereinander schluckte, als säße ihm etwas in der Kehle.
»Bringste uns noch ’n Bierchen, Marie?«, rief der Mann vom Nachbartisch jetzt zum Tresen herüber. »Und den Würfelbecher für ’ne Runde?«
Marie nickte und die Spannung im Raum
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