Whisper
löste sich auf.
»Ich glaube nicht, dass Sie die Leute anrufen müssen«, wandte sich Gustaf wieder an Kat. »Wie Sie selbst schon gesagt haben, Frau Thalis, es ist Jahrzehnte her, dass diese Familie das Haus gemietet hat, ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass sie nach einer so langen Zeit noch Interesse an den Möbeln haben. Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen gerne den Dachboden …«
»Nein, nein«, sagte Kat. »Das mit dem Speicher kriegen wir schon hin. Allerdings würden wir gerne wissen, ob Dav…« Noa trat Kat auf den Fuß, kurz und schnell. Und Kat verstand. Gustaf begann jetzt von dem Dorffest zu erzählen, das am Ende der Woche gefeiert werden sollte, das alljährliche Sommerfest, dem zu Ehren in mehreren Häusern im Dorf geschlachtet werden sollte. Die Dorfkapelle würde kommen, es würde ein Bierzelt geben – und es wäre ihnen allen eine Freude, wenn Kat und ihre Familie ihnen die Ehre geben würden, ihre Gäste zu sein. »Nicht wahr?« Beifall heischend sah Gustaf sich um. Marie hinter dem Tresen lächelte zustimmend. Esther nickte steif und einige der Männer klatschten in die Hände.
Na, wunderbar, dachte Noa. Jetzt hat Kat auch hier ihr Publikum. Aber das schien ihrer Mutter noch immer nicht zu genügen. Theatralisch hob sie den Zeigefinger. »Die Ehre geben –ich und meine Familie! Gilbert, hast du das gehört?«
Ehe Gilbert etwas erwidern konnte, winkte Kat Gustaf zu sich heran und flüsterte so laut, dass Noa es hören konnte, in sein Ohr: »Mein Verhältnis zu Gilbert ist rein geistiger Natur, was so viel bedeutet wie ›Ich bin noch zu haben – wenn mich jemand will‹.«
Augenblicklich krochen die roten Flecken aus Gustafs Hemdkragen, er stieß eine Art Quieken aus und verschluckte sich bei dem Versuch, Kat auf diese unverschämte Bemerkung eine Antwort zu geben.
»Ich … also Frau Thalis, ich …«
Hinter dem Tresen hatte Esther die schmalen Lippen aufeinander gedrückt. Sie starrte zu ihrem Tisch herüber und Noa hätte Kat am liebsten gegen das Schienbein getreten, so wütend war sie jetzt.
»Schon gut, Gustaf«, sagte Kat kichernd. »Wenn Sie mir ein Tänzchen schenken, dann bin ich schon zufrieden. Natürlich kommen wir!«
Als Marie eine halbe Stunde später an ihren Tisch kam, um die Rechnung zu bringen, lächelte sie Noa an. »Ich möchte dir auch danken, dass du David geholt hast. Diese Jungs da draußen machen uns große Sorgen und der Mann vorhin war …«
»… der Vater von Dennis«, beendete Noa ihren Satz.
Marie nickte und fügte hinzu: »Und unser Dorfschlachter.«
Nachts schien der Mond in Noas Fenster. Er war fast voll und sah aus wie eine blasse Silbermünze am schwarzen Himmel. Hitchcock war zu Kat gegangen, aber Pancake hatte sich unter Noas Decke gekuschelt. Ihr sanftes, monotones Schnurren war so beruhigend, dass Noa darüber einschlief.
Sie schlief tief und traumlos, bis ein leise klirrendes Geräusch sie weckte.
Steinchen. Jemand stand unter ihrem Fenster und warf winzige Steinchen gegen die Scheibe, wieder und immer wieder.
ZEHN
Glaubt man dem Gerede im Dorf, dann ist es nicht dieser Kord, sondern Robert, vor dem man sich in Acht nehmen muss. Angeblich ist er vorbestraft wegen Körperverletzung und da war auch was mit einem Mädchen. Aber ich mag das Dunkle, das von ihm ausgeht. Ich mag sein Gesicht, seine traurigen Augen. Er ist seltsam schön wie eine Nacht ohne Sterne.
Eliza, 19. Juli 1975
E s war David. Er stand direkt vor Noas Fenster, an den hellen Stamm einer Birke gelehnt, die Hände in die Taschen seiner ausgefransten Jeans geschoben und den Kopf leicht zur Seite geneigt, als lausche er, ob das Werfen der Steinchen etwas bewirkt hatte. Das Mondlicht ließ sein Haar noch heller erscheinen, und als David jetzt zu Noa hochsah, zog sein Blick sie förmlich nach unten. Alles in ihr wollte lächeln, aber sie beherrschte sich.
»Was willst du?«
»Dich einladen.«
»Danke, kein Bedarf.«
»Was soll ich machen? Singen?« David trat einen Schritt zurück, legte den Kopf in den Nacken und sang: » I want the angel, whose darkness doubles. It absorbs the brilliance of all my troubles …«
Noa schnappte nach Luft. Das glaubte sie einfach nicht. Sie starrte erst David an, dann auf das Haus gegenüber. Es war ein moderner Klinkerkasten, der sicher erst in den letzten paar Jahren gebaut worden war. Aber jetzt war das Haus nicht mehr als ein Schatten.
»I want the angel, that knows the sky. She got virtue, she got the parallel light in her
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