Whisper
Feuermelder, wie Noa ihn von diesem Augenblick an im Stillen nannte, grinste, sah in die Runde, dann ließ er Krümel los und wollte nach Noa greifen, sie ebenfalls in ihre Mitte ziehen, aber Noa war schneller. Sie riss sich los und stürzte in die Kneipe.
Alle Stühle waren besetzt, sie zeigten zum Fernseher, in dem eine kreischende Kat ermordet wurde. Ein Typ im schwarzen Ledermantel stach wie wild auf sie ein, während die echte Kat mit auf dem Hinterkopf verschränkten Armen in der ersten Reihe saß – links neben ihr Gilbert, auf ihrer rechten Seite Gustaf, der Wirt. Der Ton des Fernsehers war so laut gestellt, dass von draußen nichts zu hören war.
David stand am Tresen und zapfte Bier, Marie war nicht da, aber dafür stand Esther neben ihm, die Frau mit den weißen Haaren, die von einem feinen Haarnetz in Form gehalten wurden. Hinter ihr, zwischen den Gläsern im Regal, hing eine Art Geschirrtuch. Es war weiß mit einem rot bestickten Spruch:
Froh erfülle deine Pflicht.
»Dein Bruder!«
Das war alles, was Noa herausbrachte.
David ließ das Bierglas fallen, wie ein Raubtier schoss er aus der Tür.
Und wie ein Raubtier stürzte er sich auf den Anführer. Die anderen Jungen waren zurückgewichen, aber der Feuermelder war nicht schnell genug.
David hatte ihn am Kragen gepackt und zog ihn zu sich heran, so dicht, als wollte er ihm die Kehle durchbeißen. Dann stieß er ihn zurück, hielt ihn auf Armeslänge von sich und schlug ihm mit der geballten Faust ins Gesicht, auf die Nase, einmal, zweimal, zwischen die Augen und wieder auf die Nase.
Der Feuermelder, von der Statur her doppelt so kräftig wie David, war außer Stande, sich zu wehren. Er schrie, versuchte mit der freien Hand sein Gesicht zu schützen, aber David war schneller, wilder, fast außer sich vor Wut.
Als er von dem Feuermelder abließ, hielt der sich die Nase, die vermutlich gebrochen war. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor, der Feuermelder taumelte zurück, und bevor er auf dem Absatz kehrtmachte, zischte er David zu. »Das zahl ich dir heim, du Hurensohn.«
Bei diesem Ausdruck holte David noch einmal zum Schlag aus, aber da hatte der Feuermelder ihm bereits den Rücken gekehrt. Die anderen Jungen hatten längst die Flucht ergriffen. Krümel hockte am Boden und stieß so jämmerliche Töne aus, dass David sich zu ihm umdrehte. Die Art, wie Krümel die Arme nach seinem großen Bruder ausstreckte, rührte Noa so an, dass sie sich auf die Lippen beißen musste, um ihre Tränen zu unterdrücken.
David stützte Krümel und half ihm zurück in die Kneipe. An der Tür stand Esther. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht empfing sie die Jungen, strich Krümel beruhigend über den Kopf und sah David an, als wäre er ein Held.
Noa blieb allein zurück.
Lange stand sie da, Mitleid, Angst, Bewunderung und Wut wirbelten in ihr umher und vermischten sich zu einem Knoten, der ihr das Atmen schwer machte. Noa drehte sich um und ging zurück, aber sie kam nicht weiter als bis zum Haus des Bauern. Vor dem Klappstuhl hockte wieder die dürre Katze, ihre Augen funkelten in der Dunkelheit und aus ihrer Kehle kam ein leises Maunzen. Die Fenster waren alle dunkel, nur das oberste stand offen, und als Noa den gekrümmten Schatten zwischen den Vorhängen sah, zuckte sie zusammen.
»Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«
Es war mehr ein Krächzen als eine Stimme, aber die Worte trafen Noa wie ein elektrischer Schlag.
Als sie wieder vor der Kneipe stand, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Aus der Kneipe drang lautes Klatschen. Die Mordszene war der Showdown gewesen, der Tatort war zu Ende. Mit einem tiefen Seufzer öffnete Noa die Tür und ging hinein.
David und Krümel waren verschwunden. Marie stand jetzt mit Esther hinter dem Tresen und spülte Gläser. Die anderen Zuschauer, auch heute ausnahmslos Männer, hatten die Stühle wieder um ihre Tische geschoben und unterhielten sich, während ihre Blicke immer wieder zu Kat wanderten. Noa ertappte sich dabei, dass sie nach Robert suchte, nach dem Maler, den sie und Kat heute getroffen hatten, aber es wunderte sie nicht, dass er nicht hier war. Er war anders als die Männer hier, ganz anders.
»Eine Runde für Frau Thalis!«, rief Gustaf und stand von seinem Stuhl auf. Er sah aus, als hätte er sich jede Menge Mut angetrunken. Sein schlaffes Gesicht war rot, die murmelrunden Augen leuchteten wie bei einem Kind am Weihnachtsabend und seine Lippen waren ganz feucht.
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