Whisper
eye …«
»Hey, sag mal, spinnst du?«, zischte Noa nach unten. »Willst du die Nachbarn aufwecken?«
David hielt inne und grinste. »Wenn’s sein muss, schon. Das Lied hat siebzehn Strophen. Aber vielleicht kommst du ja runter, dann halt ich den Mund.«
Noa schüttelte den Kopf, heftig, als könnte sie dadurch ihre Gefühle wegschütteln, aber es ging nicht, das Lächeln war stärker.
»Du hast Glück, dass du kein guter Sänger bist. Gib mir fünf Minuten, okay?«
Als Noa aus der Haustür schlich, stand David am Gartentor. Sein Lächeln war jetzt schüchtern, in seinem Gesichtsausdruck mischten sich Freude und Unsicherheit.
»Danke, dass du gekommen bist. Es … es tut mir Leid, dass ich vorgestern so ausgeflippt bin.«
»Das habe ich schon mal gehört. Machst du das immer so? Die Leute vor den Kopf schlagen und dich im nächsten Moment entschuldigen? Wie oft kommst du damit durch?«
David hielt Noa das Gartentor auf. »Bei Leuten wie dir wahrscheinlich nicht oft.«
»Exakt. Noch so ein Abgang und du kannst mich mal. Und wohin willst du mich überhaupt einladen?«
»Wird nicht verraten. Komm!«, David streckte seine Hand nach Noas aus, aber Noa verschränkte die Arme vor der Brust, froh um die Nacht, die verbarg, was sich auf ihrem Gesicht abspielte.
David führte sie um das Haus herum. Er hatte seinen VW-Bus vor dem Tor an der Garteneinfahrt geparkt. Als er das Innenlicht anknipste, um nach seinem Schlüssel zu suchen, und Noa einen Blick nach hinten warf, sah sie, dass die breite Plastikplane, die Werkzeuge und Zeitschriften hinten im Wagen weggeräumt waren. Jetzt lag nur noch die Matratze da. Es war eine dicke Doppelmatratze, mit blauem Stoff bezogen, und an der Seite lag eine zusammengerollte Wolldecke. Plötzlich fiel Noa wieder ein, was der Feuermelder vor der Kneipe in seinem hämischen Tonfall zu ihr gesagt hatte. Hollaholla, wer bist du denn? Davids neue Nutte? Der hat ja schon bald eine richtige Sammlung, was, Jungs?
Noa riss den Kopf so jäh zurück, dass David sie erschrocken ansah. Sie wollte etwas sagen, aber sie brachte kein Wort heraus. Ihre Hand krallte sich an den Griff der Tür, ihr Herz raste. Da war sie wieder, ihre eigene Vergangenheit; wie ein Dieb in der Nacht hatte sie Noa aufgelauert, um hinter ihrer dunklen Ecke hervorzuspringen und ihr die Finger um den Hals zu legen.
»Hey.« Davids Stimme war so sanft, dass es Noa die Tränen in die Augen trieb. »Hey, was ist denn mit dir los?«
Noa senkte den Kopf und schüttelte ihn, ganz leicht, hin und her, hin und her, sie konnte gar nicht mehr aufhören. Bitte, flehte sie stumm. Bitte, bitte, keine Fragen.
David holte tief Luft, dann stieg er nach hinten in den Laderaum. Noa hörte ein klapperndes Geräusch. Wie in Zeitlupe drehte sie wieder ihren Kopf.
Vor David lag die aufgerollte Decke. In ihrer Mitte war ein Teleskop.
»Nicht weit von hier«, sagte David, »ist eine Lichtung, hoch über dem Dorf direkt am Wald. Von dort aus hat man einen wunderbaren Blick auf den Himmel, das wollte ich dir zeigen. Eine Art Freiluftkino sozusagen. Und der Eintritt«, David lächelte, »kostet nur ein Ja.«
Noa schluckte.
»Ja«, sagte sie leise.
Die Lichtung war nur ein paar Kilometer entfernt. Das Gras auf dem steil abfallenden Hang war noch warm von der Sonne des Tages und still war es hier, so still. Tief unter ihnen breitete sich wie ein schlafendes Tier das Dorf aus. Hinter ihnen lag der Wald und der Himmel über ihren Köpfen war übersät von Sternen. Durch das Teleskop waren sie zum Greifen nah. David kniete hinter Noa, seine Hände lagen leicht auf ihren Schultern. Er erklärte Noa die Sternbilder, deren Stellungen am Himmel sich durch die Wanderung der Erde um die Sonne mit jedem Abend ein winziges Stück verschoben, und seine Stimme war nicht viel mehr als ein Flüstern.
»Die drei Sternbilder dort oben im Objektiv, kannst du sie sehen? Sie prägen unseren Sommerhimmel. Ihre drei Hauptsterne, Wega, Atair und Deneb, bilden das große Dreieck – das Sommerdreieck. Am einfachsten erkennt man den Schwan, das Sternbild des Deneb. Warte, du schaust in die falsche Richtung.«
Davids Hände legten sich um Noas Kopf, ganz sanft lenkte er ihren Blick nach links auf eine kreuzartige Formation von Sternen. Seine Stimme wurde noch leiser, als fürchte er die Wesen dort oben zu vertreiben. »Jetzt stell dir einen Schwan vor, der von den höchsten Himmelshöhen nach Südwesten segelt, die Schwingen ausgebreitet, den langen Hals weit nach
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