Whisper
das Fixierbad und den Filmentwickler – aber das würde es wohl hoffentlich im Städtchen zu kaufen geben.
Noa drehte sich zu ihrer Mutter um. »Danke, Kat.«
»Keine Ursache.« Kat wischte sich die schmutzigen Hände an der Jeanshose ab. Sie hing ihr auf den Hüften, das Stück Bauch unter dem knappen T-shirt war frei und wieder fiel Noa auf, wie jung ihre Mutter war. Wenn sie zu zweit über die Straße gingen, war es immer Kat, nach der sich die Leute umdrehten, und das gewiss nicht nur, weil sie eine bekannte Schauspielerin war. Kat könnte sich in Lumpen kleiden, sie wäre immer noch ein strahlender Blickfang, der Männer dazu brachte, platt vor die Laterne zu laufen.
»Komm schon!« Kat kniff Noa in die Nase. »Komm mit in die Kneipe heute Abend, lass deine arme, alte Mutter nicht allein.«
»Du hast doch Gilbert.«
»Ach, Gilbert.« Kat lachte. »Der bastelt seit heute Morgen an seiner Einkaufsliste fürs Universum, manchmal glaube ich, der dreht eines Tages ab. Komm schon, Noa, komm mit, büüütte.« Kat machte ihre Hände zu Hundepfoten, sah mit großen Augen zu Noa auf und hechelte.
»Wenn hier jemand abdreht, dann du.« Noa sah Kat abschätzend an. »Was bin ich eigentlich für dich? Jemand, den du brauchst, um Schatten zu werfen? Was hab ich davon, mir in irgendeiner Dorfkneipe deinen Tatort anzuschauen? Keine Sorge, du wirst auch ohne mich genügend Publikum haben.« Kat ließ die Hände sinken. »Manchmal könnte ich dir eine runterhauen.«
»Tu dir keinen Zwang an.« Noa hielt ihrer Mutter die Wange hin, aber Kat drehte sich auf dem Absatz um und ging nach oben.
Die Tür krachte so heftig ins Schloss, dass die Glühbirne ausging.
Noa stand im Dunklen.
Als Kat und Gilbert gegangen waren, saß sie auf ihrem Bett, Hitchcock und Pancake schlafend zu ihren Füßen, ein Buch über Naturfotografie in ihren Händen. Aber Noa konnte sich auf nichts konzentrieren, ertappte sich dabei, zum zehnten Mal denselben Absatz zu lesen und auf ihr Herz zu horchen, das seit heute Nachmittag nicht aufgehört hatte in diesem gehetzten Rhythmus zu schlagen. Ihre Angst war gewachsen –wuchs noch immer, bis sie größer war als die Stille im Haus. »Passt auf euch auf, ihr zwei«, flüsterte sie den beiden Katzen zu. »Ich bin bald zurück, mit Kat und Gilbert. Und lasst mir keine Mäuse ins Haus, verstanden?«
NEUN
Thomas Kord, du bist ein armseliges, kleines Würstchen, weißt du das? Mit deinen dreckigen Sprüchen kannst du vielleicht Mädchen wie Marie einschüchtern, aber nicht mich. Wenn du etwas von mir willst, dann komm doch. Komm und hol es dir.
Eliza, 17. Juli 1975
A uf dem Weg zur Kneipe hörte Noa die Stimmen der Jugendlichen schon von weitem. Wieder kamen sie von der Bushaltestelle, aber diesmal war noch jemand bei ihnen. Jemand, den sie umzingelt hatten, jemand, der nicht sprechen konnte, sondern in einem verzweifelten Singsang rief, Ahiii, immer wieder Ahiii rief, während die Jungen lachten, ein derbes, gemeines Lachen, unterbrochen von Sprüchen.
»Ey, du Spacken, dein Ahi ist nicht da. Kannste nix andres sagen? Sag doch mal: ›Ich bin ein Spasti.‹ Los, sag das: ›ICH –BIN – EIN – SPASTI.‹«
Die anderen Jungen fielen ein, wiederholten das Ganze wie einen Kanon: »Ich bin ein Spasti, ich bin ein Spasti, ich bin ein Spasti …«
Noa war jetzt vor der Kneipe. An der Art, wie die Jungen ihr den Rücken zuwandten, sich in schnellem Rhythmus vor- und zurückbewegten, erkannte sie, dass sie beim Grölen ihr Opfer wie einen Punchingball von einer Seite zur anderen schubsten.
»Ahiiiiiii!«
Mit einem Satz war Noa bei ihnen und griff einen der Jungen am Arm.
»Lasst ihn in Ruhe, ihr Schweine!«
»Hollaholla!«
Der Junge drehte sich zu Noa um. Es war der mit dem brandroten Haar und seine stämmige Gestalt kam Noa plötzlich noch gedrungener vor als an dem Abend zuvor. Dennis, erinnerte Noa sich. Sein Name war Dennis und es schien, als gäbe es in seinem Körper nicht genügend Platz für all die Aggressivität, die ihn ausfüllte, bis zum Anschlag, bis zum Platzen. Sein Blick war dumpf, die Stirn tief und der Kiefer breit; die anderen Jungen waren geradezu unscheinbar gegen ihn. Seine linke Hand krallte sich um Krümels Arm, drückte ihn viel zu fest, während Davids Bruder, der vor ihm kniete, in einem fort wimmerte. »Ahiii …«
»Lass ihn los«, wiederholte Noa.
»Hollaholla, wer bist du denn? Davids neue Nutte? Der hat ja schon bald eine richtige Sammlung, was, Jungs?« Der
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