Whisper
keine Ruhe gelassen. Ich wollte nachsehen, ob ich noch etwas finde. Irgendetwas außer der Leica und dem Kimono. Ich stand erst vor deinem Fenster, aber alles war dunkel, ich wollte dich nicht wecken … und dann bin ich da hoch.«
»Aber wie?« Noa schüttelte verwirrt den Kopf. »Wie bist du hochgekommen? Das Schloss war verriegelt, der Schlüssel steckte – von außen.«
»Ich bin von hinten rein«, sagte David verlegen. »Ich hab das Scheunentor aufgeknackt. In der Scheune stand noch eine Leiter, eine ziemlich hohe. Damit bin ich rauf. Es tut mir wirklich Leid.« »Und was hast du gefunden?«
»Nichts. Nichts Nennenswertes jedenfalls.«
Noa warf ihm einen wütenden Blick zu. »Das nächste Mal weckst du mich gefälligst, verstanden? Außerdem hast du Hitchcock dort oben eingesperrt.«
»Hitchcock?«
»Unseren Kater.«
»Ach so, den.« David warf einen Blick auf den Sessel, auf dem die Katzen lagen und schliefen. »Sorry. Hab ihn nicht gesehen. Wahrscheinlich ist er mir nachgekommen.«
Noa erinnerte sich an das offene Küchenfenster. Meine Güte, da hatte Hitchcock aber ein gewaltiges Kunststück vollführt, hinter David her die Leiter hochzuklettern. Vielleicht hatte David den Kater ja auch in der Scheune eingesperrt, nachdem er wieder herausgeschlichen war, und Hitchcock hatte sich keinen anderen Rat gewusst, als über die Leiter zum Dachboden zu gelangen. Verdammt, er hätte sich alle Knochen brechen können dabei.
»Ich kann’s echt nicht fassen, dass du das getan hast«, murmelte Noa böse.
Dann legte sie die Finger wieder auf das Glas. Warum es weiter hinauszögern? Es war an der Zeit, die entscheidende Frage zu stellen.
»Wer war dein Mörder, Eliza? Wer hat dich umgebracht?« In einer beinahe schwindelnden Geschwindigkeit steuerte das Glas auf einen der mittleren Kreise zu.
ICH WILL NICHT
»Ich will nicht?« David starrte das Glas und dann Noa an. »Was soll das heißen, ich will nicht? Das kann ja wohl nicht angeh…«
»Psst!« Noa deutete mit dem Kopf auf das Glas. Langsam glitt es auf die Buchstaben zu.
ZWEI HÄNDE LEGTEN SICH UM MEINEN HALS
SIE WÜRGTEN MICH
SCHOBEN MICH ZUM ABGRUND
UND STIESSEN MICH HINAB
Elizas Antwort verschlug Noa förmlich den Atem. Plötzlich fühlte sie sich selbst wie gewürgt. Sie sprang auf, um das Fenster aufzureißen, und stellte verwirrt fest, dass es bereits offen stand. Das helle Sonnenlicht stach ihr in die Augen, Noa musste sie zukneifen, als sie sich aus dem Fenster lehnte, um frische Luft einzuatmen, tiefe Atemzüge, wie um sich davon zu überzeugen, dass sie noch am Leben war.
»Was für Hände?«, fragte David, als Noa sich wieder gesetzt hatte. »Wessen Hände? Wer hat dich umgebracht, komm schon, sag es uns.«
Das Glas kroch vorwärts.
DIE NÄCHSTE FRAGE BITTE
Noa schüttelte den Kopf. Ich kann nicht mehr, dachte sie. Ich kann das nicht aushalten.
»Verflucht noch mal, sind wir hier in einem Fernsehquiz?« Fassungslos fuhr sich David mit der freien Hand durch die Haare. »Das kann ja wohl nicht wahr sein«, zischte er, den Blick auf das Glas geheftet. »Wir sind hier, um die Wahrheit ans Licht zu bringen – das hast du doch selbst so formuliert, oder nicht? Die Wahrheit kam nie ans Licht – und das wird sich auch nicht ändern, wenn du Katz und Maus mit uns spielst. Was geschah in der Nacht, in der du ermordet wurdest? Wie konnte es überhaupt dazu kommen?«
Das Glas bewegte sich nicht. Fast verspürte Noa einen Impuls, es voranzuschieben, in welche Richtung auch immer. Sie schaute zu David, der völlig fertig aussah, und plötzlich kam ihr ein Gedanke.
»Sie kennt uns nicht«, flüsterte sie. »Eliza hat ja im Grunde keine Ahnung, wer wir sind. Vielleicht denkt sie, wir glauben ihr nicht, wenn sie uns den Namen verrät. Vielleicht … vielleicht ist ja etwas Schlimmes geschehen.«
David sah Noa verächtlich an. »Etwas Schlimmes. Dieses Mädchen wurde ermordet – erdrosselt und vom Dachboden gestoßen –, logisch ist etwas Schlimmes geschehen. Und wer wir sind, spielt doch wohl keine Rolle! Jedenfalls sind wir die, die ihr helfen können. Wenn sie uns nicht vertraut, wem dann?« Das Glas glitt wieder auf die Buchstaben zu.
ICH VERTRAUE NIEMANDEM
Noa stieß einen tiefen Seufzer aus. Ihr fehlten die Worte und David schien es genauso zu gehen. Frustriert und wütend sah er aus, während sich in Noas Angst plötzlich Mitgefühl mischte. Ratlos kaute sie auf ihrer Unterlippe. Was sollten sie jetzt fragen? Das Vertrauen eines
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