Whisper
zu ihrem Zimmer hatte er sich nicht vor der Nase zuschlagen lassen.
»Verdammt noch mal«, fuhr er Noa an, während er seinen Fuß zwischen die Türe klemmte, »kannst du mir vielleicht endlich verraten, was los ist?«
»Was los ist?« Noa trat einen Schritt zurück, ließ David eintreten und hielt ihn mit ihrem wütenden Blick gleichzeitig auf Abstand. Ihre Stimme war schneidend kalt. »Ich denke, du hältst mich für blöd, das ist los. Ich wollte diesem Dennis nicht glauben, als er mir neulich vor der Kneipe ins Gesicht gesagt hat, was du für einer bist. Soll ich dir verraten, was der Typ mich gefragt hat? Ob ich deine neue Nutte wäre – und dann hat er deine nette Sammlung erwähnt.« Noa schüttelte angewidert den Kopf. »Ein Exemplar hab ich dann ja selbst bewundern dürfen. Ich hab dich gesehen, David, heute Vormittag in der Stadt, in diesem netten, kleinen Café am Marktplatz. So ein Zufall, was? Aber scheinbar hat deine hübsche blonde Freundin es dir ja etwas leichter gemacht als ich, sie hing ja förmlich an deinen Lippen. Hast du wenigstens bekommen, was du wolltest?«
Für einen Moment sah David so aus, als wollte er sich abwenden und gehen. Aber dann überlegte er es sich anders. »Ja, das habe ich«, entgegnete er langsam. Er griff in seine Hosentasche und holte ein Stück Papier heraus – einen zusammengefalteten Zeitungsausschnitt. Irritiert runzelte Noa die Stirn, sie merkte, wie sich Unbehagen in ihre Wut mischte.
»Aber da warst du offensichtlich schon weg«, fuhr David fort. Er lehnte an Noas Schrank, den Zeitungsausschnitt noch immer in seiner Hand. »Sonst hätte ich dir Leslie gerne vorgestellt. Wir waren mal zusammen, aber irgendwie hat es nicht gefunkt. Wir sind gute Freunde geblieben. Heute habe ich ihr von dir erzählt, obwohl ich mich eigentlich aus einem anderen Grund mit ihr getroffen habe. Ich hatte versucht etwas aus meiner Mutter und Gustaf rauszubekommen, aber da war nichts zu holen, die haben mich abgewimmelt. Da fiel mir ein, dass Leslies Vater bei der Zeitung arbeitet. Deshalb habe ich sie angerufen. Ich habe sie gebeten, ob sie für mich etwas besorgen kann. Und das hat sie getan.«
David hielt Noa den Zeitungsausschnitt hin. Die Enttäuschung über ihre Anschuldigung war ihm so deutlich anzusehen, dass Noa fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Ihre Wangen brannten vor Scham.
»Ich weiß nicht, was du im Café gesehen hast«, sagte David in einem abfälligen Ton. »Und ich weiß auch nicht, was du irgendwelchen Idioten glauben willst, die dir einen Scheiß über mich erzählen. Aber vielleicht interessiert dich ja der Artikel. Er ist im August 1975 in der Rheinischen Post erschienen.«
Noa verspürte einen schalen Geschmack im Mund. Ihre Wut war geschrumpft wie ein Ballon, aus dem jemand langsam die Luft gelassen hatte. Sie fühlte sich nicht gut. Die Zeilen verschwammen vor ihren Augen und Noa musste sich zusammenreißen, um sie zu lesen.
DAS VERSCHWINDEN DER 18-JÄHRIGEN ELIZA – EIN TRAGISCHER SELBSTMORD?
Düsseldorf – Im Fall um die verschwundene Eliza Steinberg konnten trotz umfangreicher Suchaktionen noch immer keine Erfolge gemeldet werden. Von dem in der Nacht vom 21. August 1975 in Düsseldorf verschwundenen Mädchen fehlt nach wie vor jede Spur. Nach Aussage des Vaters legte sich seine Tochter am frühen Abend ihres achtzehnten Geburtstags mit Kopfschmerzen zu Bett und war am nächsten Morgen nicht mehr in ihrem Zimmer. Auch in der Schule, dem Düsseldorfer Rückert-Gymnasium, tauchte Eliza nicht auf.
Weder aus ihrem Freundeskreis noch unter den Lehrern hatte irgendjemand das Mädchen gesehen. Der Verdacht von Kidnapping konnte bereits nach den ersten Ermittlungen mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Vater, ein angesehener Allgemeinmediziner, hatte die Nacht über an seiner Steuer gearbeitet, die Mutter litt bereits seit dem tragischen Verlust ihres erstgeborenen Sohnes unter starken Schlafstörungen, sodass das leiseste Geräusch sie aufgeschreckt hätte. Auch die mögliche Spur in den Westerwald, wo die Familie ein paar Monate zuvor ein Wochenendhaus gemietet hatte, wurde nach erfolglosen Ermittlungen fallen gelassen.
Auf Grund der psychisch labilen Verfassung des Mädchens – den Aussagen des Vaters zufolge hatte seine Tochter ihren bei einem Motorradunfall verlorenen Bruder über alles geliebt – hält die örtliche Kripo mittlerweile einen Selbstmord nicht mehr für ausgeschlossen.
Noa ließ die Zeitung sinken und sah zu David,
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